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ampere 4.2021
24.01.2022
Jährlich messen die Vereinten Nationen mit dem „Human Development Index“ die Lebensqualität in ihren Mitgliedsstaaten. Es zeigt sich: Wirtschaftlich starke Länder mit hohem Entwicklungsstand belasten Klima und Umwelt vergleichsweise wenig.
Unsere These:
Nur durch nachhaltiges Wirtschaftswachstum
sind unsere Klimaziele zu erreichen.
Briefing
Jährlich messen die Vereinten Nationen mit dem „Human Development Index“ die Lebensqualität in ihren Mitgliedsstaaten. Es zeigt sich: Wirtschaftlich starke Länder mit hohem Entwicklungsstand belasten Klima und Umwelt vergleichsweise wenig.
Wie lange Kinder zur Schule gehen. Wie lange sie durchschnittlich leben werden. Ob es dabei einen Unterschied macht, ob sie als Junge oder Mädchen geboren werden. Ob alle Menschen Zugriff auf Strom und sauberes Trinkwasser haben. In dem von den Vereinten Nationen jährlich erstellten „Human Development Index“ (HDI) werden Dutzende einzelner Indikatoren zu einem einzigen Wert zusammengefasst. Natürlich fließt auch das jeweilige Bruttonationaleinkommen pro Kopf ein, ein ökonomischer Wert, um den im Inland erwirtschafteten Reichtum zu messen. Am Ende steht ein Ranking aller UN-Mitgliedsstaaten. Es gibt keinen besseren Indikator für langfristige, am Wohl der Bevölkerung ausgerichtete Politik.
In der 2020er-Ausgabe des Entwicklungsindex, die die Entwicklung bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie dokumentiert, gehört Norwegen wieder einmal der erste Rang. Dass auf den Plätzen eins bis zehn mit Ausnahme von Australien und Hongkong ausschließlich europäische Staaten zu finden sind, ist angesichts des hohen Wohlstandsniveaus in diesen Ländern kaum verwunderlich. Interessanter wird es weiter unten in der Tabelle. So finden sich die Vereinigten Staaten erst auf Platz 17, Frankreich auf Platz 26, Italien auf Platz 29 – alle drei G7-Staaten, führende Industriestaaten also. China, der große Rivale des westlichen Lebensmodells, folgt erst auf Platz 85. Allerdings: Das Reich der Mitte hat allein in den letzten fünf Jahren zwölf Plätze gutgemacht. Der ökonomische Aufstieg spiegelt sich also auch dort allmählich in besseren Lebensverhältnissen.
Doch müssten angesichts der Klimakrise nicht zumindest jene Staaten, die bereits einen hohen Entwicklungsstand erreicht haben, jegliches weitere Wachstum einstellen? Eine Antwort gibt der UN-Report, wenn man den Entwicklungsstand mit den CO2-Emissionen korreliert, die notwendig sind, um die jeweilige Wirtschaftsleistung zu erbringen. Und siehe da: Je entwickelter ein Staat ist, desto weniger CO2 muss er pro Dollar Bruttoinlandsprodukt ausstoßen. Norwegen emittiert nur 110 Gramm pro Dollar, Deutschland 200 Gramm und China derzeit noch 450 Gramm. Allerdings schwanken Energiemix, Lebensweisen und Technologiepräferenzen in den Mitgliedsstaaten stark. Deshalb sind Durchschnittswerte aussagekräftiger als die Angaben für einzelne Staaten. Die Top-10-Länder beispielsweise kommen im Schnitt auf 147 Gramm pro Dollar. Der Durchschnitt für alle Staaten, die zur Gruppe der höchstentwickelten 66 Länder gehören, beträgt 240 Gramm pro Dollar. Die darauffolgende Gruppe der hochentwickelten Länder wiederum emittiert durchschnittlich 340 Gramm pro Dollar. Ein Teil der positiven Entwicklung dürfte allerdings darauf zurückzuführen sein, dass mit zunehmendem Entwicklungsstand sehr hochwertige Güter sowie Dienstleistungen einen höheren Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausmachen, während CO2-intensive Güter wie Rohmaterialien aus geringer entwickelten Staaten importiert werden.
Trotzdem: Wachstum steht in einer postfossilen Gesellschaft nicht im Widerspruch zu den Klimazielen, zu denen sich die Weltgemeinschaft 2015 mit dem Pariser Abkommen verpflichtet hat. Es gibt gute Gründe dafür, sogar das Gegenteil zu behaupten. Für den Umbau unseres Energiesystems, die Modernisierung von Gebäuden und Verkehrsinfrastrukturen sowie die Einführung neuer Industrieprozesse stehen laut BDI allein in Deutschland Investitionen von bis zu 2,3 Millionen Euro an. Dies führt zu Wachstumschancen für Unternehmen und Branchen, die die Technologien für den Umbau entwickeln, produzieren und exportieren. Diese Chance zu nutzen, statt Entwicklung einzubremsen, könnte das wichtigste Gebot der Stunde sein.
Text Johannes Winterhagen | Illustration Barbara Geising
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.2021 am 6. Dezember 2021 erschienen.