Blick ins Labor

Datenraum für smarte Antriebe

Mangelnde Datenverfügbarkeit und das Fehlen offener Standards bremsen heute noch die Digitalisierung im Bereich der Antriebe. Das Verbundprojekt „Antrieb 4.0“ will das ändern und einen gemeinsamen Datenraum für smarte Antriebslösungen schaffen.

 

Interoperabilität und gemeinsame Standards sind die Voraussetzung für serviceorientierte Geschäftsmodelle im Bereich der digitalen Produktion. „Das gilt insbesondere im Bereich der Antriebe, weil sie über viel Sensorik und Intelligenz verfügen“, berichtet Martin Hankel, Abteilungsleiter Digital Business bei Bosch Rexroth. „Wenn wir hier zu einer präzisen, herstellerübergreifenden Definition und Verfügbarkeit der Daten kommen, können wir die Digitalisierung der Produktion deutlich voranbringen.“

Genau dieses Ziel verfolgt das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Verbundprojekt „Antrieb 4.0“. Die Partner wollen einen geteilten und mit Gaia-X-Prinzipien konformen Datenraum für smarte Antriebslösungen schaffen, der die Grundlage für die Entwicklung serviceorientierter Geschäftsmodelle rund um die digitalisierte Produktion und vernetzte Wertschöpfungskette bildet. Im Reallabor soll an der Auswahl, der Inbetriebnahme sowie dem Betrieb und Service von intelligenten und vernetzten Antrieben geforscht werden. Die Konsortialleitung des Anfang 2023 gestarteten Projektes liegt bei der Forschungsvereinigung Elektrotechnik beim ZVEI, Konsortialpartner sind das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Nürnberg, das Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB in Erlangen und die TU Darmstadt. Weitere 16 namhafte assoziierte Partner machen den Forschungsverbund komplett.

„Wir legen besonderen Wert darauf, dass unsere Lösungen praxistauglich sind“, sagt Dr. Falk Eckert, der bei der Forschungsvereinigung Elektrotechnik das Projekt leitet. „Darum werden wir unsere praxisrelevanten Use Cases in Reallabor-Demonstratoren an verschiedenen Standorten erproben.“ Diskussionen mit potenziellen Anwendern ergaben zunächst 36 Use Cases, die durch eine Umfrage unter den Verbundpartnern und deren Kunden priorisiert wurden. Im ersten Schritt werden nun zwei von ihnen umgesetzt: „Ganzheitliche energieeffiziente Auslegung von Antriebslösungen“ und „Digitalisiertes Asset Management“. „Diese beiden Schlüssel-Use-Cases versprechen Industrieunternehmen sowohl ökonomisch als auch ökologisch den größten Mehrwert“, erklärt Dr. Tassilo Schuster vom Fraunhofer IIS die Auswahl.

Bei der Auslegung von Antrieben stehen Anwender elektrischer Antriebe im Maschinenbau immer wieder vor der gleichen Frage: Welcher Antrieb passt am besten zu den technischen Herausforderungen? „Für die Auswahl bieten die Hersteller jeweils eigene Tools an, in die man sehr viele Werte eintragen muss – die sich zudem von Hersteller zu Hersteller unterscheiden“, so Hankel. „Der Aufwand ist so groß und die Empfehlungen sind so wenig vergleichbar, dass die Maschinenbauer nach dem zweiten Hersteller keine Lust mehr auf das Ausfüllen der Tools haben."

Ziel des ersten Use Case: In Zukunft soll es einen standardisierten Satz von Daten geben, die Maschinen- und Anlagenbauer sowie Anlagenbetreiber nur einmal ermitteln müssen und an alle Antriebshersteller weitergeben können. Zudem sollen auch die zurückgelieferten Ergebnisse vergleichbar werden. „Dadurch ließen sich Antriebssysteme in Zukunft auch energieeffizienter auslegen“, sagt Lara Schmidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IIS. „Denn es wäre dann möglich, Antriebskomponenten unterschiedlicher Hersteller zu kombinieren, um ein vom Betreiber vorgegebenes Last- und Bewegungsprofil möglichst energieeffizient zu erfüllen.“

Der zweite Use Case will dazu beitragen, die zunehmende Komplexität von Anlagen besser beherrschbar zu machen. Dazu soll ein standardisierter Datensatz jeden Antrieb über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg begleiten und immer weiter befüllt werden. „Das digitalisierte Asset Management ermöglicht die zentrale Bereitstellung aller relevanten Informationen eines Assets in einem standardisierten Format“, erklärt Schmidt. „Anlagenhersteller und -betreiber können so den Überblick über die installierte Basis behalten. Das trägt zur Verbesserung der Effizienz des Antriebssystems bei, reduziert Stillstandszeiten, erhöht die Sicherheit und verlängert den Lebenszyklus.“

Zwei Demonstratoren in Darmstadt und Erlangen sollen dazu dienen, neue Services zu testen – auch mit KI-Unterstützung, etwa bei der Auslegung von Antrieben und ihrer Inbetriebnahme. Neben den technischen Herausforderungen sieht Experte Hankel auch grundsätzlichen Lernbedarf bei den potenziellen Anwendern: „Viele Unternehmen haben noch immer Angst, Daten loszulassen. Aber genau das verhindert, dass die Datenökonomie endlich abhebt. Antrieb 4.0 bietet einen geschützten Raum, um die Chancen neuer Services auszuloten.“

 

Mehr zum Projekt Antrieb 4.0 im Interview mit Tassilo Schuster und Lara Schmidt vom Fraunhofer IIS.

 

Text Christian Buck | Bilder shutterstock.com/whiteMocca, shutterstock.com/Pacific Productions, Tim Wulf - Photography

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.2024 am 15. April erschienen.



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