Mehr Mut, weniger Regeln

Die Nachfrage nach grünem Strom wächst kontinuierlich. Um das Energiesystem in Balance zu halten, muss die Strominfrastruktur ertüchtigt und digitalisiert werden. Nur wie?

Das Glas ist halbvoll, nicht halbleer. Anke Hüneburg, im ZVEI für den Leitmarkt Energie verantwortlich, blickt grundsätzlich optimistisch auf die Energiewende. Die Erneuerbaren haben 2020 an der deutschen Nettostromerzeugung erstmals mehr als 50 Prozent Anteil erreicht. Mit der Wasserstoffstrategie, dem begonnenen Smart-Meter-Rollout und der Initiative zur Spitzenglättung rückt auch ein besseres Management der fluktuierenden Erzeugung in greifbare Nähe. Richtig ist aber auch: Der Weg ist noch sehr weit, wenn man nicht nur auf die Stromerzeugung schaut, sondern auch auf den Energieverbrauch. Der kann bisher nur zu weniger als 20 Prozent durch die Erneuerbaren gedeckt werden. Zudem bereitet der schleppende Ausbau der Erzeugungskapazität, insbesondere der Windenergie, weiterhin Sorgen. Auch sind die Verteilnetze zum jetzigen Zeitpunkt weder ausreichend ausgebaut noch intelligent genug, um mit stark wechselnden Lasten umgehen zu können, wenn Millionen Verbraucher abends gleichzeitig ihre Elektroautos aufladen wollen. Braucht es also noch mehr Regulierung? Anke Hüneburg hält das Gegenteil für richtig: „Der stärkste Anreiz, den ein Staat geben kann, ist ein klares Preissignal. Doch da senden wir derzeit die falschen Botschaften an den Markt.“ Ausgerechnet Strom als Energieträger der Zukunft ist durch zahlreiche Abgaben belastet und dadurch noch immer für viele Anwendungen zu teuer. Der ZVEI fordert daher ein schnelles Abschmelzen der Umlage aus dem Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG) – möglichst schon im Lauf der kommenden Legislaturperiode soll diese auf null sinken. Auch die steigenden Umlagen für den Netzausbau müssen nicht zwingend zu höheren Kosten führen, wenn die Möglichkeiten der Digitalisierung richtig genutzt werden, so Anke Hüneburg.

31,5 Cent pro Kilowattstunde

                                      bezahlte der durchschnittliche Haushalt für Strom im Jahr 2020.                                                                         Davon entfielen 52 Prozent auf Steuern, Abgaben und Umlagen.

Der Trend zu einer All-Electric-Society, die ihren Energiebedarf komplett durch grünen Strom deckt, ist unumkehrbar. Es ist das Tempo, das darüber entscheidet, ob Deutschland seine Klimaziele auch in Zukunft erreicht und gleichzeitig wirtschaftlichen Wohlstand halten kann. „Die Unternehmen der Elektroindustrie arbeiten konkret daran, Klimaneutralität zu ermöglichen“, sagt Hüneburg. „Das gilt für all unsere Leitmärkte.“ Deshalb sei es in der kommenden Legislaturperiode besonders wichtig, den dafür benötigten Regulierungsrahmen zu diskutieren und einzuführen. „Mit dem Green Deal und den Konjunkturprogrammen steht viel Geld zur Verfügung, um den Auf- und Ausbau der Strominfrastruktur zu fördern.“ Doch Geld allein reicht nicht, denn über das Tempo der Elektrifizierung entscheidet auch, ob ausreichend gut ausgebildete Menschen daran mitarbeiten – in der Industrie wie im Handwerk. Im Leitmarkt Energie bündelt der ZVEI nicht nur den Dialog zwischen jenen Fachverbänden, die vom Trafo bis zum Kabel alle Komponenten für eine moderne Strominfrastruktur produzieren. Die Experten der einzelnen Leitmärkte sind auch untereinander in ständigem Austausch. „Wir praktizieren hier bereits Sektorenkopplung“, sagt Anke Hüneburg verschmitzt.

Anke Hüneburg

Kein Kleinklein mehr

Loslassen ist schwierig. Da gibt es auf der einen Seite große Ziele wie Klimaschutz, eine moderne Infrastruktur und eine florierende Wirtschaft, auf der anderen Seite viele technische Details sowie die wirtschaftlichen Interessen einzelner Akteure. Bislang versucht der Staat diese Diskrepanz zu steuern, indem er zunehmend detailliert reguliert. Um die Komplexität der Energiewirtschaft abbilden zu können, kommen laufend neue Regeln hinzu. Ein Beispiel: Selbstverständlich ist es sinnvoll, Hersteller von grünem Wasserstoff nicht mit zusätzlichen Umlagen zu belasten, dementsprechend wurde das EEG mit der letzten Reform angepasst – und schon entstand wieder ein neuer Paragraph. Ist es sinnvoll, immer so weiterzumachen? Oder bremsen wir Innovationskraft, insbesondere in Sachen Digitalisierung, und laufen sogar Gefahr, sich widersprechende Regeln aufzustellen? Ich meine: Wir sollten mutig sein und das EEG in der kommenden Legislaturperiode komplett abschaffen. Konsequent auf CO2-Preise zu setzen, statt alles im Kleinklein regeln zu wollen, würde unglaubliches Potenzial freisetzen!