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27.03.2023

„Halbleiter sind unverzichtbar“

Energiewende, Elektrofahrzeuge, Energieeffizienz: Moderne Halbleiter spielen eine Hauptrolle beim Kampf gegen den Klimawandel. Europa ist dafür in vielen Bereichen hervor­ragend aufgestellt. Um künftig international wettbewerbsfähig sein zu können, wünscht sich Infineon-Vorstand Andreas Urschitz eine gezielte Förderung von Innovationen und eine aktive Standortpolitik. Der European Chips Act ist für ihn ein guter Anfang.

Chefsache

„Halbleiter sind unverzichtbar“

Energiewende, Elektrofahrzeuge, Energieeffizienz: Moderne Halbleiter spielen eine Hauptrolle beim Kampf gegen den Klimawandel. Europa ist dafür in vielen Bereichen hervor­ragend aufgestellt. Um künftig international wettbewerbsfähig sein zu können, wünscht sich Infineon-Vorstand Andreas Urschitz eine gezielte Förderung von Innovationen und eine aktive Standortpolitik. Der European Chips Act ist für ihn ein guter Anfang. 

Herr Urschitz, Sie setzen sich persönlich sehr für die Dekarbonisierung der Gesellschaft ein. Welche Rolle spielt dabei die Halbleiterindustrie?
Die Mikroelektronik und die Chipindustrie sind entscheidend, wenn wir in Zukunft mehr erneuerbare Energien nutzen wollen. Zwei Drittel des weltweit emittierten Kohlendioxids stammen aus dem Energiesektor, also aus der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle. Um das zu ändern, brauchen wir große Mengen unterschiedlicher, hoch spezialisierter Halbleiter. Halbleiter sind aber auch in einem anderen Bereich unverzichtbar: Ohne sie wird es uns nicht gelingen, Energie optimal zu nutzen – also bei der Energieeffizienz spürbare Fortschritte zu machen. Wir können beispielsweise die Räume in Gebäuden mit Sensoren ausstatten und mithilfe von Künstlicher Intelligenz Nutzungsmuster erkennen. Darauf aufbauend kann eine vorausschauende Regelung die Raumtemperatur so einstellen, dass der Energieverbrauch minimiert wird. Digitalisierung und Dekarbonisierung spielen also eng zusammen.

Wie stehen Deutschland und Europa bei den dafür benötigten Technologien da?
Wir sind in mehreren Bereichen weltweit führend: bei den Leistungshalbleitern, bei der Sensorik und bei der Datensicherheit für smarte Systeme. Hinzu kommen die Mikrocontroller, die die Sensordaten auslesen und Energie effizient steuern können, etwa in Photovoltaikanlagen. Zusammenfassend kann man also sagen: Deutschland und Europa sind in entscheidenden Feldern hervorragend aufgestellt und damit bestens für die Energiewende positioniert.

Spüren Sie das derzeit auch bei der Nachfrage nach den entsprechenden Halbleitern?
Infineon profitiert tatsächlich davon. Immer mehr Geräte werden elektrifiziert und mit erneuerbaren Energien betrieben, beispielsweise Autos. Das steigert den Bedarf an Leistungshalbleitern, Sensoren und Mikrocontrollern.

Können Sie die hohe Nachfrage aktuell befriedigen?
Hier gibt es Unterschiede. Im Bereich der Consumer-Elektronik ist die Nachfrage gesunken. Ganz anders sieht es beispielsweise bei Produkten für Elektrofahrzeuge, Photovoltaikanlagen oder Windparks aus: In diesem Bereich verzeichnen wir eine enorme Steigerung, und unsere Kunden wollen mehr, als wir derzeit liefern können. Hintergrund ist natürlich das Bestreben, möglichst schnell aus den fossilen Energien auszusteigen.  

Im Bereich der hochintegrierten Logikchips ist Europa weitgehend von Importen abhängig. Sollte sich das aus Ihrer Sicht in Zukunft ändern?
Es ist immer gut, Abhängigkeiten zu verringern – vor allem im Lichte der steigenden Bedeutung der Mikroelektronik. Darum bin ich sehr dafür, in Europa auch Kompetenzen für hochintegrierte Logikchips aufzubauen. Man muss sich aber auch klarmachen: Eine komplette Unabhängigkeit ist angesichts unserer globalisierten Wirtschaft – insbesondere in der Halbleiterbranche – in den nächsten 20 Jahren nicht möglich. Dafür sind die gegenseitigen Abhängigkeiten in den Lieferketten einfach zu groß. Eine Abschottung wäre darum kontraproduktiv und würde weitere Innovationen verhindern. Das gilt aus meiner Sicht auch generell: Wir können die großen Probleme der Welt nur gemeinsam lösen.

Wie können wir trotzdem resilienter werden?
Der European Chips Act zeigt, wie das gelingen könnte. Ziel der EU ist es ja, neben der Fertigung unter anderem auch Forschung und Bildung im Bereich Mikroelektronik in Europa zu stärken. Wenn es uns tatsächlich gelingt, mehr Innovationen hervorzubringen und mit den klügsten Köpfen die besten Technologien zu entwickeln, können wir mit unseren Partnern weltweit auf Augenhöhe agieren. Denn die Abhängigkeiten sind ja keineswegs einseitig – nicht nur wir brauchen die USA und Asien, sondern diese Regionen brauchen auch uns. Neben einem Vorsprung bei Innovationen sollten wir künftig aber auch darauf achten, Rohstoffe, Maschinen und Software nicht nur aus einer einzigen Quelle zu beziehen.

Sie haben den European Chips Act schon angesprochen. Kommen die Maßnahmen schnell genug?
Ich begrüße den European Chips Act sehr. Mit seiner umfassenden Herangehensweise gibt er einen sehr guten Rahmen vor. Gleichwohl gilt es, weiter Tempo zu machen, damit die ehrgeizigen Ziele auch erreicht werden.

Welche weiteren Wünsche haben Sie an die Politik, um Europa technologisch souveräner zu machen?
Ich wünsche mir eine Standortpolitik, die Investitionen gezielt fördert. Wir brauchen beispielsweise Ökosysteme wie in Dresden, wo Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Zulieferer in einem Cluster nahe beieinander sind. Ein weiterer wichtiger Punkt sind wettbewerbsfähige Energiepreise. Die Strompreise sich durchaus ein relevanter Kostenfaktor. Sie sind in Deutschland deutlich höher als andernorts. Auch die Versorgungssicherheit ist ein wichtiges Thema. Wir müssen unsere Stromnetze ausbauen, digitalisieren und mit Speichern ausstatten, um Stromrationierungen oder sogar Abschaltungen zu verhindern.

Wie stark spüren Sie den Fachkräftemangel?
Infineon engagiert sich stark in den Bereichen Dekarbonisierung und Digitalisierung. Das spricht viele junge Menschen an, die einen Sinn in ihrer Arbeit finden wollen. Darum war es für uns nicht allzu schwierig, in den vergangenen zwei bis drei Jahren in Mitteleuropa viele neue Mitarbeitende einzustellen. Im Moment konzentrieren wir uns darauf, sie ins Unternehmen zu integrieren. Grundsätzlich ist der steigende Bedarf an technischen Fachkräften aber ein Riesenthema für unsere Branche und die gesamte Gesellschaft. Wir werden sie nur bekommen, wenn wir schon in der Grundschule Begeisterung für Technik wecken. Auch das wird uns technologisch souveräner machen.

ANDREAS URSCHITZ

ist seit 2022 Mitglied des Vorstands der Infineon Technologies AG und Chief Marketing Officer. Zuvor war er zehn Jahre Präsident der Infineon-Division Power & Sensor Systems. Urschitz wurde 1972 in Klagenfurt (Österreich) geboren und hat seinen Magister-Abschluss in Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität in Wien erworben. Der Vater von vier Kindern war früher Bio-Landwirt im Nebenerwerb.

Wie könnten wir diese Begeisterung erzeugen?
Ich habe das bei meinen eigenen Kindern im Lernkindergarten mitgestalten können und erlebt, wie man sie zum Beispiel mit einem Technikkoffer spielerisch für das Thema begeistern kann. Das sind aber langfristige Prozesse, die sich vom Kindergarten über die Grundschule bis zum Gymnasium fortsetzen müssen – und dann hoffentlich zu mehr Studierenden im MINT-Bereich führen.

Lassen Sie uns etwas in die Zukunft blicken. Welchen Platz wird Europa im Jahr 2030 in der globalen Chipindustrie einnehmen? Und werden dann tatsächlich 20 Prozent aller Chips weltweit hier produziert?
Ich denke, dass es teilweise zu Verschiebungen kommen wird. Im Jahr 2030 dürfte es mehr hochintegrierte Logikchips aus Europa geben. Intel hat ja entsprechende Pläne bekannt gegeben. Im Wesentlichen geht es aber darum, auch 2030 in unseren traditionellen Bereichen wie Leistungshalbleiter, Sensorik und Sicherheit führend zu sein – nach dem Motto „Stärken stärken“. Die von der EU anvisierten 20 Prozent Anteil am Weltmarkt sind natürlich ein sehr ambitioniertes Ziel, das aber eher eine Richtung vorgibt. Schließlich liegen wir derzeit erst bei ungefähr zehn Prozent der Weltproduktion.

Technologie hilft bei der Dekarbonisierung. Werden Innovationen hier alle unsere Probleme lösen?
Sie werden sicher dabei helfen, denn Innovationen sind hier wichtig. Wir dürfen uns aber auch nicht ausschließlich auf neue Technologien verlassen. Ein großer Teil der Lösung, um klimaneutral zu werden, liegt in uns. Wir als Unternehmen haben uns verpflichtet, unsere Emissionen bis 2025 um 70 Prozent zu senken und 2030 CO2-neutral zu sein. Aber auch jeder Einzelne ist gefragt, etwas beizutragen – etwa bei seinem Konsum- oder Mobilitätsverhalten. Am Ende werden wir nur als Gesellschaft das Ziel erreichen, den Klimawandel einzudämmen.

 

Text: Christian Buck | Fotografie: Dominik Gigler

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.2023 am 11. April 2023 erschienen.

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