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Innovationen in der Medizintechnik legen die Basis für eine individualisierte Gesundheitsversorgung, mit denen die Folgen des demografischen Wandels bewältigt werden können.
In weniger als 20 Jahre wird mehr als ein Drittel der Menschen in Deutschland älter als 65 Jahre sein. Diese demografische Entwicklung, die sich auch in vielen anderen Ländern zeigen wird, sorgt dafür, dass die Gesundheitssysteme immer stärker in Anspruch genommen werden. Die Krankenhäuser und niedergelassenen Ärzte müssen mehr chronische Erkrankungen, aber auch akute Herz- oder Krebserkrankungen behandeln. Außerdem steigen die Fälle neurologischer Krankheiten wie der Demenz. Gleichzeitig hat das medizinische Versorgungsystem Probleme, Ärzte und Pflegekräfte zu finden, in den Städten, aber vor allem auch in den ländlichen Regionen. Die Lösungen muss die Gesundheitswirtschaft bereitstellen, in der im Jahr 2019 rund 7,5 Millionen Menschen arbeiteten, mit steigender Tendenz. Die Gesundheitswirtschaft ist schon heute groß – sie hat mehr Beschäftigte als die Autoindustrie. Ein wichtiger Teil davon ist die Medizintechnik, sagt Hans Peter Bursig, der den Leitmarkt Gesundheit im ZVEI verantwortet. „In der Medizintechnik gehört Deutschland zu den Top 3 in der Welt und stellt alles her, was für die Diagnose und Therapie in Krankenhäusern und Arztpraxen benötigt wird.“
7,8 % ihres Umsatzes
investierte die industrielle Gesundheitswirtschaft im Jahr 2019 in
Forschung und Entwicklung. (Quelle: BDI-WIFOR)
Die Antwort auf die Herausforderungen ist für Bursig klar: „Wir brauchen eine moderne und vernetzte Gesundheitsversorgung, die sich auf den Gesundheitszustand und die Lebensumstände jedes Einzelnen fokussiert – und diese sind zum Beispiel von Alter, Geschlecht und den Vorerkrankungen, aber auch von der Region oder dem Beruf abhängig.“ Dabei geht es schon lange nicht mehr um den reinen Austausch von Daten, der etwa durch die elektronische Patientenakte gewährleistet sein soll (siehe Report auf Seite 48). „Die Medizintechnik kann heute schon Ärzte bei vielen Routineaufgaben entlasten, indem zum Beispiel Anwendungen auf Basis von Künstlicher Intelligenz bei bildgebenden Verfahren wie der Computertomografie große Datenmengen vorauswerten, sortieren und nach auffälligen Befunden durchsuchen“, erklärt Hans-Peter Bursig. Außerdem können solche Anwendungen den aktuellen Stand des medizinischen Wissens in die Behandlung einfließen lassen und Therapien vorschlagen. „Die Entscheidungen trifft letztlich der Arzt natürlich selbst, aber er hat deutlich mehr und bessere Informationen, die er dafür verarbeiten kann“, so Bursig.
Eine andere wichtige Entwicklung: „Jeder Patient verbringt nur einen Teil seiner Zeit tatsächlich bei Ärzten und Therapeuten. Mit einer digitalisierten, vernetzten Infrastruktur kann die medizinische Versorgung kontinuierlich sichergestellt werden“, sagt Bursig. Beispiele dafür sind Blutdruckmesser oder Blutzuckermessgeräte, die über Apps verbunden den Kontakt zwischen Arzt und Patienten erleichtern können. Auch deutlich komplexere Datenauswertungen, etwa Rhythmusstörungen bei Herzinsuffizienz, sind mittlerweile telemedizinisch möglich. Die individualisierte Gesundheitsversorgung der Zukunft ist integriert, zunehmend präventiv und ortsunabhängig.
Damit wir eine individualisierte Gesundheitsversorgung aufbauen können, benötigen wir zunächst ein E-Health-Zielbild, das für Orientierung sorgt. Damit ist nicht ein von oben aufgesetzter Masterplan gemeint – dafür ist das System viel zu komplex – und jeder Beteiligte tut schon heute aus seiner Sicht das Richtige. Vielmehr müssen alle Verantwortlichen ein gemeinsames Ziel beschreiben und anstreben: die Krankenkassen, die Kliniken, die Ärzteschaft, die Therapeuten und die Heil- und Hilfsmittelerbringer. Ein Start dafür war das Innovationsforum „Digitale Gesundheit 2025“, das vom Bundesgesundheitsministerium 2019 organisiert wurde. So sollte es weitergehen. Zudem brauchen wir einen European Health Data Space, in dem sicher, verlässlich und unter höchstem Schutz der Persönlichkeitsrechte Daten der Patienten interoperabel verfügbar sind und genutzt werden können. Nur damit können wir flexibel und punktgenau an neuen Anwendungen forschen, diese entwickeln und so Krankheiten vorbeugen, Erkrankte behandeln und anschließend in der Nachsorge gesunden lassen.