Meet the Expert

Dr. Andreas Gontermann, ZVEI-Chefvolkswirt

07.11.2024

Drei Fragen an Dr. Andreas Gontermann

Dr. Andreas Gontermann leitet seit 2007 die Abteilung Wirtschaftspolitik, Konjunktur & Märkte im ZVEI. Das Team liefert u.a. mit dem monatlichen Konjunkturbarometer oder dem Außenhandelsreport sowie entsprechenden Spezial-Ausgaben aktuelle Berichte zur wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Elektro- und Digitalindustrie.

Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie steht seit Monaten konjunkturell unter Druck. Welche Hindernisse und welche Chancen auf Erholung sehen Sie? 

Als wir nach einem schwachen Jahresausklang 2023 in das Jahr 2024 gestartet sind, war unsere Erwartung zunächst die eines allmählichen – und spätestens ab dem zweiten Halbjahr wieder stärkeren – Anziehens der Konjunktur. Es kam anders. So lässt die Erholung bis heute auf sich warten. Dabei sind vor allem fehlende Aufträge das größte Produktionshindernis. Fast sechs von zehn Branchenunternehmen berichten darüber. Entsprechend hat der ZVEI seine ursprüngliche Prognose kürzlich auch deutlich abwärts revidiert – von real minus zwei auf minus sieben Prozent. Immerhin sprechen die abnehmende Inflation, sinkende Zinsen oder auch Lagerzyklen für eine wieder bessere Entwicklung 2025.

China ist mit Abstand das wichtigste Abnehmerland der heimischen Elektrounternehmen. Zuletzt verzeichnete die Branche hier aber ein deutliches Minus. Wird China perspektivisch durch andere Länder abgelöst werden, z. B. Indien?

Ja, die deutschen Elektroexporte nach China sind im August um zehn Prozent gesunken. In den gesamten ersten acht Monaten konnten sie aber noch um dreieinhalb Prozent zulegen, wohingegen die Ausfuhren in den Rest der Welt hier rückläufig waren.

China hat den mit Abstand größten Elektromarkt weltweit. Auf ihn allein entfallen fast 40 Prozent des globalen Marktes. Obwohl die Lieferungen unserer Branche nach China im vergangenen Jahr 2023 zurückgegangen sind, lagen sie absolut immer noch höher als die – gestiegenen – Exporte in die zweitplatzierten USA.

Der indische Markt für elektrotechnische und elektronische Güter ist seit 2010 im Schnitt um rund sieben Prozent pro Jahr gewachsen, also sehr dynamisch. Sein Volumen macht aber erst ein Zwanzigstel des Pendants in China aus. Auch bei den deutschen Elektroausfuhren in die beiden Länder reden wir heute noch über unterschiedliche Dimensionen. Lieferungen im Wert von drei Milliarden Euro nach Indien standen im letzten Jahr Exporte von mehr als 25 Milliarden Euro nach China gegenüber.  

Die USA haben gewählt: Wie haben die Unternehmen der deutschen Elektro- und Digitalindustrie im Vorfeld auf diese Schicksalswahl geblickt?

Anlässlich der letzten ZVEI-Vorstandssitzung im Oktober hatten wir unsere Mitglieder nach ihrer Sicht auf die USA befragt. Hier kam u.a. heraus, dass zwei Drittel der Firmen die Vereinigten Staaten verglichen mit Europa bzw. Deutschland als den besseren Investitionsstandort ansehen.

Gleichzeitig hatten wohl weder der IRA noch andere US-Maßnahmen – wie die großzügigen Corona-Hilfen, der Chips Act oder das Infrastrukturpaket – großen Einfluss auf die Investitionsentscheidungen der Unternehmen. Für sich genommen hat auch die Wahl kaum Investitionen gehemmt.

Als Damoklesschwert wurden vor allem protektionistische Maßnahmen ausgemacht, d.h. Zölle, Einfuhrbeschränkungen oder wettbewerbsverzerrende Vorteile für amerikanische gegenüber ausländischen Unternehmen. Dieses Schwert hängt ja nun weiter in der Luft.

Von einer neuen US-Administration wünscht man sich eigentlich eine Vertiefung der transatlantischen Beziehungen, und zwar über den Aufbau gemeinsamer resilienter Lieferketten, den Abbau von Handelshemmnissen sowie gemeinsame Standards und Zusammenarbeit in Sachen Technologie.

 

Dr. Andreas Gontermann
Chefvolkswirt & Leiter Abteilung Wirtschaftspolitik, Konjunktur und Märkte