Meinungsbeitrag

Prof. Dr. Sylvia Thun, Charité Berlin

28.10.2021

Standards setzen, existierende Technologien besser nutzen

Die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen war lange Zeit durch Stillstand und starre Strukturen gekennzeichnet. Daher ist es kaum verwunderlich und wegweisend, dass es in der letzten Legislaturperiode so viele Digitalgesetzgebungen für das Gesundheitswesen gab wie nie zuvor.

Digitale Gesundheitsversorgung der Zukunft

Um eine vollumfängliche digitale Vernetzung in der Zukunft zu ermöglichen, muss der Gesetzgeber unter anderem die Verwendung einheitlicher Standards in der medizinischen Dokumentation fördern, um den erheblichen Arbeitsaufwand, der aus dem fragmentierten Feld der Dokumentationspflichten resultiert, zu reduzieren, und die Qualität, Wiederverwendbarkeit und Verarbeitbarkeit der Daten zu erhöhen. 

Zukünftig sollte die Dokumentation im Gesundheitswesen nicht mehr primär zu Abrechnungszwecken erhoben werden, sondern bevorzugt klinische Phänomene abbilden und der Prävention, Diagnostik und Therapie dienen. 

Das Vorliegen standardisierter, interoperabler synthetischer und realer Daten ist außerdem die Grundlage dafür, existierende Technologien zukünftig besser nutzen zu können. Eine fortschreitende Digitalisierung ermöglicht dann Patientinnen und Patienten eine aktivere Rolle in der Gesundheitsversorgung einzunehmen. Mit der steigenden Verwendung von Wearables, also tragbaren digitalen Gesundheitsanwendungen, können wir auf simple Weise beispielsweise Vitalparameter wie die Herzfrequenz und die Sauerstoffsättigung über Zeiträume hinweg erfassen, auswerten und zukünftig mit Behandlern austauschen. 

Algorithmen für Maschinelles Lernen (Machine Learning) benötigen eine große Menge qualitativ hochwertiger Daten, um komplexe Probleme bearbeiten zu können. Wenn diese Daten vorliegen, wird zum Beispiel die KI-basierte Befundung von bildgebenden Verfahren wie Röntgen oder Ultraschall in ihrer Präzision steigen und die Forschung und Patientenversorgung zukünftig signifikant bereichern. Jetzt und in Zukunft muss darauf geachtet werden, dass Trainingsdaten in ihren systemischen, strukturellen oder sozialen Dimensionen nicht begrenzt sind und deshalb die drauf aufbauende Technologie bestimmte Gruppen vorzieht oder benachteiligt, also einen „Bias“ vorweist.    

 

Prof. Dr.  med. Sylvia Thun
Universitätsprofessorin für Digitale Medizin und Interoperabilität
Charité – Universitätsmedizin Berlin