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30.06.2021

Zielbild Medizintechnik 2025 – Die fünf Handlungsfelder

Die Covid-19-Pandemie hat die große Bedeutung und die Systemrelevanz von Medizintechnik für die Gesundheitsversorgung besonders deutlich gemacht. Gleichzeitig hat die Krise gezeigt, dass die schnelle Verfügbarkeit notwendiger medizinischer und medizintechnischer Produkte im Krisenfall von einer ausreichenden Bevorratung oder einer ausreichenden regionalen Fertigungsfähigkeit abhängt.

Die mittelständisch geprägte deutsche Medizintechnik-Branche steht einerseits für hohe Wertschöpfung, Exportstärke, Innovationskraft und über 235.000 Arbeitsplätze, andererseits für einen zentralen Beitrag zu moderner Gesundheitsversorgung.

Steigende regulatorische Anforderungen in der EU (MDR und weitere Regelungen) und den internationalen Märkten sowie die Begrenzung der Gesundheitsausgaben in Deutschland stellen aber eine immer größere Belastung für diese gute Ausgangsposition dar. 

Wie können die Wettbewerbsfähigkeit der Medizintechnik-Industrie am Standort Deutschland gestärkt, eine ihrer Bedeutung entsprechende politische Flankierung organisiert und das oben formulierte Zielbild erreicht werden?

BVMed, Spectaris und ZVEI sehen insgesamt fünf Handlungsfelder, in denen unterschiedliche Maßnahmen notwendig sind.

Zielbild Medizintechnik 2025

Die fünf Handlungsfelder

Handlungsfeld 1

Medizintechnik-Industrie entsprechend ihrer Bedeutung ressortübergreifend unterstützen

Die Medizintechnik-Branche hat entscheidenden Anteil an einer leistungsfähigen und modernen Gesundheitsversorgung und muss stärker als eine wesentliche systemrelevante und in Abgrenzung zur Pharmaindustrie eigenständige Säule der industriellen Gesundheitswirtschaft wahrgenommen werden. Der Beitrag der Medizintechnik geht dabei weit über den Kostenanteil an den Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung hinaus. Die Medizintechnik-Industrie leistet in Deutschland auf gesamtwirtschaftlicher Ebene einen überproportional starken Beitrag zu Beschäftigung, Wachstum und Export. Eine koordinierte industriepolitische Unterstützung der Branche ist deshalb aus vielen Gründen gerechtfertigt.

Die komplexen Belange der Medizintechnik-Industrie in den Bereichen Forschung und Entwicklung,
Regulierung, Produktion und Marktzugang gehen aber derzeit in den voneinander getrennten
Ressortzuständigkeiten für Gesundheit, Forschung und Wirtschaft unter. Es fehlt an einer Gesamtstrategie für die Medizintechnik im Sinne eines Konzeptes „MedTech in all Policies“. Dieser Mangel muss behoben werden. Den politischen Entscheidungsträgern muss bewusst werden, dass medizintechnische Innovationen etablierte Versorgungswege und -potenziale verändern. Daraus resultieren in vielen Fällen Therapieverbesserungen für Patienten sowie Kosteneinsparungen für das System der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland.

Vorschlag:

Durchführung eines strategischen „MedTech-Dialogs“ in Anlehnung an andere
Branchendialoge unter Einbindung von BMG, BMWi, BMBF, Abgeordneten aus Bund und
Ländern, medizinischen Fachgesellschaften, Versorgern und Medizintechnik-Industrie. Zur
Erreichung des zu Beginn formulierten Zielbildes müssen gesundheits-, wirtschafts- und
forschungspolitische Aspekte gemeinsam berücksichtigt werden.

Maßnahmen dazu könnten sein:

  • Durchführung einer jährlichen Industriekonferenz Medizintechnik im BMWi
  • Einen alle 5 Jahre erscheinenden Bericht des BMWi zur Lage der Medizintechnikindustrie
  • Regelmäßige Evaluation der Angemessenheit deutscher und europäischer MedizintechnikForschungsförderprogramme zur Erhaltung der Innovationskraft

Handlungsfeld 2

Leistungsfähige Versorgung mit Medizinprodukten nachhaltig gewährleisten, auch im Falle von Krisenlagen

Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die zuverlässige Verfügbarkeit von Medizinprodukten
sowie leistungsfähige Gesundheitsstrukturen für Patientenversorgung und Anwenderschutz sind. Produkte sind teilweise nur schwer finanzierbar oder zumindest nicht überall verfügbar. Innovationen kommen häufig erst im Ausland zum Einsatz, bevor sie in Deutschland Verbreitung finden. Es ist auch sichtbar geworden, dass gerade in Krisenlagen von nationaler Tragweite die Koordinierung zwischen allen Beteiligten verbessert werden muss, sei es, um Lieferketten für essentielle Produkte intakt zu halten, akute Bedarfe mit Produktions- und Lieferkapazitäten zusammen zu bringen oder einfach um Schutzausrüstungen besser zu verteilen. Für künftige Krisen müssen deshalb die Kompetenzen der unterschiedlichen Beteiligten – Bund, Länder, Kommunen und Versorgungssektoren – erfasst und in einem leistungsfähigen System koordiniert werden, dessen Ziel es ist, eine leistungsfähige Patientenversorgung auch außerhalb der Normalsituation nachhaltig zu gewährleisten. Außerdem ist es notwendig, die Aufteilung des Gesundheitssystems nach Sektoren und die darauf aufgebauten Vergütungsstrukturen zu überprüfen. Gerade sektorübergreifende und integrierte Versorgungsmodelle werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Solche Ansätze sind in den aktuellen Finanzierungsstrukturen der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausreichend abgebildet.

Vorschlag:

Die Beschaffung von Medizinprodukten für die Gesundheitsversorgung und Anwenderschutz muss in der deutschen Gesundheitswirtschaft organisatorisch und finanziell jederzeit möglich sein. Für die schnelle Verfügbarkeit der Produkte sollen Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden. Zur Unterstützung für besondere Situationen wird eine „Digitale Bestandsplattform versorgungskritischer Medizinprodukte und Arzneimittel“ aufgebaut, mit der jederzeit schnell ein aktueller Überblick über die Verfügbarkeit, Lieferfähigkeit oder Fertigungsfähigkeit spezifischer Medizinprodukte für den jeweiligen Bedarf hergestellt werden kann. Um sektorübergreifende und integrierte Versorgungsmodelle schneller in die Regelversorgung überführen zu können, müssen die aktuelle Aufteilung des Gesundheitssystems nach Sektoren und die darauf aufgebauten Vergütungsstrukturen überprüft und verändert werden.

Handlungsfeld 3

Entwicklung und Fertigung der Medizintechnik in Deutschland und Europa stärken sowie mit der digitalen Transformation der Gesundheitsversorgung verbinden

Die Forderungen nach medizintechnischem Fortschritt schaffen ebenso wie steigende regulatorische Anforderungen immer mehr Komplexität für Forschung, Entwicklung und die Herstellung von Medizintechnik. Um diese steigende Komplexität erfolgreich zu bewältigen, braucht dieMedizintechnik-Industrie in Deutschland Unterstützung sowohl bei der klinischen Bewertung neuer Medizinprodukte als auch im Rahmen der Forschung und Entwicklung sowie bei der späteren CE-Kennzeichnung. Anonymisierte Gesundheitsdaten werden für Forschung, Entwicklung und Innovationen eine immer wichtigere Rolle spielen. Das Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) und das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) sind gute erste Schritte, die allein aber nicht ausreichen, um die Potenziale für die Patientenversorgung durch Digitalisierung zu erschließen. Der reglementierte Zugriff der Industrie auf Gesundheitsdaten zu Zwecken der Forschung und Entwicklung ist in diesem Zusammenhang bis heute eine wesentliche ungelöste Bremse der Digitalisierung. Die digitale Transformation des Gesundheitssystems muss politisch konsequent vorangetrieben werden.

Vorschlag:

Einerseits sollten die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen Herstellern und klinischen Einrichtungen verbessert werden, um gemeinsame F+E-Projekte zu ermöglichen und die wissenschaftliche klinische Bewertung neuer Produkte zu unterstützen. Hier sind auch neue Finanzierungswege im Rahmen der Forschungsförderung oder der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Forschungsaufwänden notwendig. Außerdem muss die Nutzung von Versorgungsdaten für Forschung und Entwicklung durch die Industrie rechtssicher und verlässlich ermöglicht werden sowie ein besseres Verständnis in der Bevölkerung erreicht werden, wie dies zur Verbesserung der Patientenversorgung beiträgt. Datenschutz muss weniger als „Wegschließen der Daten“ und mehr als „Schutz der Personenrechte“ verstanden werden. Die dauerhafte Finanzierung der technischen und personellen Infrastruktur für einen deutschen „Datenraum Gesundheit“ muss ebenso sichergestellt werden wie dessen Einbindung in eine „European Health Data Space“.

Handlungsfeld 4

Methodenbewertung und Zugang zur Regelversorgung für MedTech modernisieren

Die Forschung und Entwicklung an medizintechnischen Produkten und Lösungen endet nicht mit der CE-Kennzeichnung der Produkte. Produkte, die in ganz Europa in Verkehr gebracht werden dürfen, müssen in Deutschland zusätzlich oft einer Methodenbewertung unterzogen werden, damit eine Kostenübernahme in der Gesundheitsversorgung möglich ist. Im Rahmen der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden werden Nachweise für die medizinische Evidenz der neuen Methode gefordert. Diese sind für Medizinprodukte bzw. Methoden, die wesentlich auf Medizinprodukten beruhen, oft in ihren wissenschaftlichen Anforderungen und in ihrer betriebswirtschaftlichen Kalkulation nicht oder nur schwer zu erfüllen. Es fehlt an einem handhabbaren, verlässlichen Instrumentarium der Methodenbewertung. Dies kann die Nutzung innovativer Medizintechnik zu Ungunsten der Patienten und Versicherten erheblich verzögern. Für die Hersteller bedeutet dies außerdem eine Hürde, die zusätzlich zu den ohnehin hohen Anforderungen der CE-Kennzeichnung überwunden werden muss.

Vorschlag:

Es sollten einerseits Möglichkeiten geschaffen werden, die Durchführung und Finanzierung klinischer Studien praktikabler zu machen, um Evidenz einfacher zu generieren. Andererseits sollten weitere Kriterien, z. B. positive Versorgungseffekte wie bei „digitalen Gesundheitsanwendungen“, als Evidenznachweise akzeptiert werden. Hierzu gehören auch Register- und Versorgungsforschungs-Daten. Drittens sollte geprüft werden, unter welchen Bedingungen die Erprobung neuer Methoden mit begleitender Evaluierung transparenter und verlässlicher ermöglicht werden kann, als das bisher im Rahmen des SGB V möglich ist. 

Handlungsfeld 5

Wirkungsvolle Unterstützung der Medizintechnik-Branche bei den regulatorischen Herausforderungen

Die Medizintechnik-Branche ist überreguliert, ohne dass dies der Patientensicherheit dient. Eine Reduzierung dieser Vorgaben sollte grundsätzlich den politischen Willen prägen (One in-One outPrinzip). Die Kosten der Regulierung sollten gemessen am internationalen Maßstab auf höchstens fünf Prozent aller unternehmerischen Kosten gesenkt werden. Durch eine pragmatische Umsetzung der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR), die Sicherung der Innovationskraft der Medizintechnikindustrie durch Bürokratieverzicht und den gezielten Abbau von Überregulierungen (z. B. von überzogenen Anforderungen und Stoffverboten aus dem Umweltrecht) muss der schnelle Marktzugang für Medizinprodukte wieder ermöglicht werden.

Bei der Umsetzung der MDR muss unbedingt erreicht werden, dass berechtigte Anforderungen an die Qualität und Sicherheit der Medizintechnik nicht zu einer Überregulierung führen, welche die Innovationsfähigkeit der Medizintechnik-Branche in Deutschland und Europa dauerhaft untergräbt. Besonders bei Bestandsprodukten drohen ansonsten Versorgungsengpässe oder -ausfälle zum Nachteil der Patienten und Versicherten. Für bewährte Bestandsprodukte sind deshalb vereinfachte Verfahren für die erneute Zertifizierung nach der MDR in der Praxis zu etablieren. Außerdem sind für sichere und schon lange Zeit bewährte Produkte in einem ersten Schritt Zulassungsprozesse bei der Neuzertifizierung massiv zu vereinfachen. Zusätzlich ist eine Unterstützung der Hersteller bei der Umstellung auf neue Prozesse und Anforderungen bei der Konformitätsbewertung notwendig.

Vorschlag:


Fortbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter zur Umsetzung neuer Anforderungen aus der MDR bei den Herstellern sollten unter bestimmten Bedingungen unterstützt werden können. Außerdem sollten die Hersteller bei der Kooperation mit Partnern aus der Gesundheitsversorgung bei der Sammlung klinischer Daten und der Erstellung klinischer Bewertungen für Bestandsprodukte und neu entwickelte Produkte unterstützt werden. Im Rahmen der nach fünf Jahren anstehenden Überprüfung der MDR sollte Deutschland außerdem auf eine Vereinfachung der Verordnung drängen, soweit dies ohne negative Auswirkungen auf die Qualität der Produkte und die Sicherheit für Patienten und Anwendern möglich ist. Dabei sollte auch eine Obergrenze des Aufwandes der Hersteller für die Erfüllung regulatorischer Anforderungen diskutiert werden.

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