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Zwiegespräch
02.05.2024
Vor der Europawahl hofft die Wirtschaft auf das Ende der Überregulierung in Brüssel. Die FDP-Bundestagsabgeordnete und Europakandidatin Sandra Weeser diskutiert mit ZVEI-Vorstandsmitglied und Unternehmer Daniel Hager, wie die Hürden abgebaut werden können und welche Auswirkungen die neue EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden haben kann.
Weeser: Ein Grund ist, dass ich auch in meiner Funktion als Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen merke, wie viele Vorgaben aus Europa kommen, die wir in nationales Recht umsetzen müssen. Aber ich erlebe, dass wir als Deutsche meist viel zu spät in die Entscheidungsprozesse einsteigen. Wir können oft gar nicht mehr eingreifen, sondern nur noch abnicken. Ich habe mir auch als Ausschussvorsitzende zum Ziel gesetzt, regelmäßig in Brüssel zu sein, um frühzeitig in Prozesse eingebunden zu sein und gegebenenfalls Frühwarnsignale nach Berlin senden zu können. Hinzu kommt, dass ich seit über 25 Jahren mit einem Franzosen verheiratet bin und schon von daher europäisch denke.
Hager: Zunächst möchte ich bestätigen, was Frau Weeser sagt. Auch die Industrie wird sich noch stärker auf der europäischen Ebene engagieren und Themen, die dort in Angriff genommen werden, früher auf den Radar nehmen. Von der EU erwarte ich künftig mehr Bürgernähe und vor allem Bürokratieabbau – dieser muss an erster Stelle stehen. Ich stimme dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu, wenn er ein Moratorium neuer Gesetzesvorhaben in der Energie- und Klimaschutzpolitik fordert. Die Industrie hat noch so viele Hausaufgaben aus bereits beschlossenen Reformen zu erledigen, es wird andernfalls einfach zu viel. Und ich erwarte zudem, dass wieder mehr für die Wirtschaft und auch für die Innovationsfähigkeit in Europa getan wird.
Hager: Ich möchte an der Stelle auf Bundesjustizminister Marco Buschmann verweisen, der die Bürokratieauflagen mit europäischem Bezug auf 57 Prozent beziffert. Natürlich ist es immer auch eine Frage, wie die Vorgaben in nationales Recht umgesetzt werden. Da gibt es sicherlich drei oder vier Länder, in denen es die Unternehmen noch härter trifft – Frankreich zum Beispiel ist sehr hart in der Umsetzung. Ich wünsche mir deshalb eine europäische Koordinierung bei den nationalen Umsetzungen. Unternehmen, die in mehreren EU-Ländern aktiv sind, müssen derzeit überall unterschiedliche Regeln zur gleichen Regulierung beachten und auch Daten immer wieder anders erheben.
Weeser: Wir müssen uns bewusst machen, was das für kleinere mittelständische Unternehmen bedeutet. Ich komme aus dem Mittelstand und habe selbst erlebt, wie Bürokratie die Kapazitäten der Geschäftsführung bindet. In der Zeit, in der die Bürokratieauflagen erledigt werden, wird nichts verkauft, nichts erfunden, nichts umgesetzt. Das geht massiv auf die Schaffenskraft der Firmen.
Hager: Die Bürokratie ist auch für größere Unternehmen zu viel. Wir beschäftigen in einem größeren Familienunternehmen etwa acht Mitarbeiter, die nur mit Berichtswesen beschäftigt sind und Daten zu den diversen Auflagen liefern. In großen Konzernen sind es noch mehr. Das bezahlt am Ende meist der Kunde. Wir können uns diese Bürokratie als Gesellschaft nicht mehr leisten. Wir sollten überprüfen – auch in Europa – was mit den Daten tatsächlich gemacht wird. Auflagen, die nichts bringen, müssen abgeschafft werden.
Weeser: Das sehe ich auf europäischer Ebene leider nicht. Unter Frau von der Leyen ist die Bürokratie in den vergangenen fünf Jahren deutlich angewachsen. Der Tenor in der EU ist eigentlich: für jede Verordnung, die hinzukommt, muss eine alte verschwinden. Davon ist nichts zu sehen. Es gibt eine Zahl des Statistischen Bundesamts, die einiges zum allgemeinen Bürokratietrend für deutsche Unternehmen aussagt: Der Erfüllungsaufwand aus den Bürokratielasten ist allein im Jahr 2022 für die deutsche Wirtschaft um 711 Millionen Euro angestiegen. Letztlich drücken die ständigen Nachweispflichten ein tiefes Misstrauen in das Handeln von Unternehmen aus.
Hager: Misstrauen ist ein Thema. Ein anderes ist das fehlende Verständnis der Politik für die Funktionsweise der Wirtschaft und der Wirtschaftsunternehmen. Wenn ich die nicht verstehe, muss ich eben alles kontrollieren.
Weeser: Emmanuel Macron hat Deutschland die Hand ausgestreckt, um ein gemeinsames Vorgehen der beiden größten Volkswirtschaften in dieser Sache anzustoßen. Das wäre für mich ein Schritt in die richtige Richtung. Ich denke zum Beispiel an das Lieferkettengesetz. Nachdem wir uns in Deutschland nach jahrelangen Diskussionen auf eine Reform geeinigt hatten, wurden wir ein paar Monate später mit einem europäischen Lieferkettengesetz konfrontiert. Es gibt meiner Meinung nach viele Herausforderungen, die sich nur im europäischen Kontext lösen lassen. Deshalb wäre es besser, auf nationaler Ebene manchmal ein bisschen mehr Ruhe zu bewahren und zu beobachten, was in der EU vorbereitet wird.
Hager: Ein Aspekt, den wir nicht vergessen dürfen, ist die Verunsicherung in den Behörden, die von der Überregulierung ausgelöst wird. Wir erleben öfters, dass Beamte sich nicht mehr trauen, Genehmigungen auszustellen. Sie kommen mit der Komplexität nicht mehr zurecht, wissen nicht mehr, wie Gesetze auszulegen und zu handhaben sind und stellen schließlich ihre eigene Haftbarkeit in den Vordergrund.
Hager: Das möchte ich erst bewerten, wenn wir wissen, wie die Umsetzung in nationales Recht ausfällt. Zunächst ist die EPBD für mich ein guter Schritt nach vorn. Es ist begrüßenswert, dass bei Neubauten und umfangreichen Sanierungen Anschlüsse für die Elektromobilität gelegt werden müssen und bei größeren Vorhaben die Möglichkeiten zum Einbau von Fotovoltaikanlagen zu überprüfen sind. Und auch die Verpflichtung zur Aufstellung einer Energiebilanz bei größeren Gebäuden finde ich positiv – ebenso wie der Zwang zur Erneuerung der technischen Systeme bei größeren Renovierungen. Der Gebäudesektor hat große Potenziale zur Verringerung der CO2-Emissionen und die EPBD wird helfen, sie zu heben.
Weeser: Ich bin froh, dass der Sanierungszwang zuletzt noch aufgehoben wurde, weil er zu stark in das Eigentum des einzelnen Bürgers eingegriffen hätte. Ich finde in der EPBD den Quartiersansatz positiv. So kann ein Passivhaus die schlechteren energetischen Werte eines benachbarten denkmalgeschützten Fachwerkhauses ausgleichen. Das ist ein pragmatischer Ansatz, weil unter dem Strich nur das Gesamtergebnis zählt. Als Liberale sind wir ansonsten immer ein großer Verfechter des Emissionshandels. Auf den EU-ETS 2, also die Schaffung eines neuen Emissionshandels für Gebäude, Straßenverkehr und zusätzliche Sektoren, setzen wir große Hoffnungen.
Weeser: Weil wir schon gute Erfahrungen mit marktwirtschaftlichen Lösungen im Stromhandel durch den EU-ETS 1 gemacht haben. Es stellt sich für mich nur die Frage, ob die EPBD angesichts des kommenden EU-ETS 2 überhaupt nötig ist. Mit marktwirtschaftlichen Instrumenten ließen sich wahrscheinlich am Ende mindestens genauso gute Ergebnisse erzielen. Ich finde es trotzdem gut, dass wir jetzt die EPBD haben. In Deutschland und einigen anderen Ländern wäre dieses Reformpaket auf nationaler Ebene wohl nicht zustande gekommen.
Hager: Da bin ich ganz bei Frau Weeser. Wenn wir einen vernünftigen CO2-Preis und einen richtigen Markt für CO2 hätten, dann bräuchten wir solche Gesetze nicht. Der Markt würde regeln, dass sich die effizientesten Lösungen durchsetzen.
Seit Oktober 2017 ist Sandra Weeser Mitglied des Deutschen Bundestags und seit 2021 dort Vorsitzende des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauen und Kommunen.
Daniel Hager ist Mitglied des ZVEI-Vorstands. Von Juli 2008 bis Dezember 2023 war CEO der Hager Group, seitdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender.
Text Michael Gneuss | Bilder ZVEI/Miriam Bender