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30.07.2025
In kalten wie heißen Auseinandersetzungen bis hin zu Kriegen fahren die gegnerischen Parteien regelmäßig die Strategie, Kontrahenten den Zugang zu sogenannten strategischen Gütern zu verschließen oder zumindest deutlich zu erschweren. Der Erfolg wirtschaftlicher Sanktionen ist – bei nüchterner Betrachtung – meist allerdings ziemlich überschaubar. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Zweifel bestehen, ob es so etwas wie strategische Güter überhaupt gibt.
Wegen des fürchterlichen Angriffskriegs in der Ukraine hat der Westen Russland mit zahlreichen Sanktionspaketen belegt. China beschränkt mit Exportkontrollen die Ausfuhr Seltener Erden sowie anderer kritischer Rohstoffe. Gleichzeitig bekommt es keine AI-Chips mehr aus den USA geliefert. Das Ziel solcher und vieler anderer ähnlicher Maßnahmen ist dabei eigentlich immer, Verhaltensänderungen beim Gegner zu bewirken sowie potenzielle Nachahmer zu warnen.
Wirtschaftssanktionen sind zunehmend komplex, zumal sie heute nicht nur die güterwirtschaftliche, sondern auch die Finanzsphäre betreffen, etwa den Zugang zum US-Dollar. Gleichwohl feuert das gesamte Arsenal ökonomischer Strafmaßnahmen allzu oft daneben. In einer groß angelegten Studie hatte sich das Peterson Institute for International Economics bereits 2007 angeschaut, welche Wirkung 174 weltweite Sanktionskampagnen im Zeitraum von 1915 bis 2000 (davon 162 nach 1945) entfaltet haben. Das Ergebnis: Lediglich in einem Drittel der Fälle wurden die Ziele erreicht – und hier mitunter auch nur teilweise.
Der amerikanische Ökonom Mancur L. Olson hatte schon in den 1960er Jahren Ideen formuliert, woran das liegt. So setzen Sanktionen regelmäßig bei strategischen Gütern an, die laut klassischer Definition keine Substitute haben, also nicht ersetzbar sind. Olson zufolge ist das Konzept strategischer oder auch kritischer Güter aber eine Illusion. Wenn überhaupt gebe es nur ganz wenige davon. Stattdessen habe man es mit strategischen Bedarfen zu tun – wie der Ernährung der Bevölkerung oder der Produktion von Waffen –, von deren Deckung man eine Nation letztlich kaum werde abhalten können. Mit anderen Worten: Für Güter gibt es so gut wie immer Substitute, und wenn auch nicht kurzfristig, dann immerhin auf die längere Sicht. Je knapper und teurer ein Produkt wird, desto schneller wird sich der Mix an Inputs verändern, um es herzustellen.
Während des Zweiten Weltkriegs hat Deutschland die Hälfte der für seine verschiedensten Rüstungsgüter benötigten Kugellager in Schweinfurt produziert. Deshalb zerstörten die Alliierten die Stadt in der zweiten Jahreshälfte 1943. Auf die Kriegsproduktion hatte das keinen messbaren Einfluss, weil die Lager schnell durch deutlich einfachere Konstruktionen ersetzt werden konnten. Die EU hat inzwischen über ein Dutzend Sanktionspakete gegen Russland verabschiedet. Zusammengebrochen ist die Wirtschaft des Landes bis heute nicht – auch, weil neue „strategische“ Handelspartner gefunden werden konnten, insbesondere China. Man kann Widersachern als strategisch erachtete Güter vorenthalten. In die Knie zwingt man sie allein dadurch noch nicht.
Aus alledem lassen sich ein paar Schlussfolgerungen ziehen. So bestehen die Kosten, die man einer Volkswirtschaft aufdrückt, wenn man ihr kritische Ressourcen oder Güter vorenthält, eher nicht in einem unmittelbaren Zusammenbruch betroffener Industrien, sondern im Aufwand, der jetzt betrieben werden muss, Umwege zu finden bzw. ganz neue Wege zu beschreiten. Anpassung braucht Zeit.
Zudem greift der Begriff der Liefer- bzw. Wertschöpfungskette in modernen Volkswirtschaften wohl zu kurz. Denn erfahrungsgemäß bricht das gesamte Konstrukt noch nicht zusammen, wenn ein Glied reißt. Eher hat man es hier mit Netzwerken zu tun. Und schließlich lassen sich nicht nur Güter durch Alternativen ersetzen, sondern auch Handelspartner, die sich deshalb wiederum auch nicht als allzu strategisch bedeutsam fühlen sollten.
Dr. Andreas Gontermann