Philip Harting, Vorstandsvorsitzender der Harting Technologiegruppe

Daten statt Zölle

Zeitenwende ist ein großes Wort, impliziert es doch, dass es nie wieder so wird, wie es einst war. Auf den Welthandel trifft dieses Wort jedoch zu, sagt der Familienunternehmer Philip Harting. Wie viele mittelständische Unternehmen hat die Harting Technologiegruppe von der Globalisierung profitiert. Der auf industrielle Steckverbinder und Konnektivitätslösungen spezialisierte Hersteller ist zwar tief in seiner ostwestfälischen Heimatstadt Espelkamp verwurzelt, produziert aber mittlerweile an 14 Standorten weltweit und unterhält Vertriebsbüros in mehr als 40 Ländern. Ein „Weltunternehmen“ wolle man werden, das verkündete Philip Harting bereits, als er 2015 den Vorstandsvorsitz von seinem Vater Dietmar übernahm. Die zugrunde liegende Lokalisierungsstrategie, die er mit den Worten „in der Region, für die Region“ beschreibt, hat er bereits vor dem Handelskonflikt zwischen China und den USA in Kraft gesetzt. In der Corona-Krise, in deren Folge weltweit die Lieferketten stockten, hat sich das ausgezahlt. „Wir konnten ausreichende Mengen produzieren“, so Harting. „Engpässe haben wir eher auf Kundenseite gesehen.“ Dennoch: Einfach so weiterzumachen, das kommt für den Firmenchef nicht infrage. „Wir halten Kurs, aber wir haben deutlich nachgeschärft. Denn wir glauben nicht, dass wir auf absehbare Zeit wieder einen so offenen Welthandel sehen werden wie zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts.“

Wie stark der freie Welthandel den Wohlstandsgewinn der Welt in den vergangenen 60 Jahren bestimmte, lässt sich anhand weniger Zahlen der Welthandelsorganisation verdeutlichen: 1970 betrug der Anteil der Warenexporte und -importe am weltweiten Bruttoinlandsprodukt nur 19 Prozent, im Jahr 2018 waren es 51 Prozent. Im gleichen Zeitintervall wuchs das Welt-Bruttoinlandsprodukt von rund 19 auf mehr als 80 Billionen US-Dollar, wenn man konstante Preise zugrunde legt. Zufällig ist die Korrelation nicht, im Gegenteil: Seit der britische Ökonom David Ricardo im 19. Jahrhundert das Modell der komparativen Kostenvorteile entwarf, gilt als sicher, dass Handel langfristig immer zu Wohlstandsgewinnen führt. Als Exportnation mit einer Außenhandelsquote von mittlerweile mehr als 70 Prozent profitierte Deutschland von dieser Entwicklung besonders. Da mutet es zunächst verwunderlich an, dass in der deutschen, aber auch der europäischen Politik zunehmend Forderungen laut werden, wieder mehr Güter im Heimatmarkt zu produzieren. „In manchen Bereichen, etwa in der Klinikausstattung, mag das durchaus sinnvoll sein“, sagt Philip Harting. „Eine Regierung muss den Schutz der eigenen Bevölkerung voranstellen.“

„Daten werden im weltweiten Wettbewerb das wichtigste Asset.”

Philip Harting

Statt sich aber dem weltweiten Trend zum Protektionismus hinzugeben, sollte Europa nach Ansicht von Philip Harting vor allem eines: Gas geben bei der Digitalisierung. „Daten werden im weltweiten Wettbewerb das wichtigste Asset“, sagt der Unternehmer. „China und die USA sind uns da voraus.“ Für Harting, selbst Vater von fünf Kindern, beginnt eine gute Digitalisierungsstrategie mit digitaler Bildung. „Das ist die Basis für alles weitere, doch hier besteht gewaltiger Aufholbedarf.“ Harting begrüßt das GaiaX-Projekt, mit dem der Aufbau einer europäischen Cloud vorangetrieben werden soll. Im eigenen Unternehmen setzt er vorerst auf die Cloudlösung Dynamics 365 von Microsoft. Die bildet das datentechnische Rückgrat für eine durchgängige Digitalisierung, die von der Konfiguration der klassischen Industriesteckverbinder bis hin zur Steuerung der Maschinenwartung in den Fabriken reichen soll. „Wir sehen Digitalisierung vor allem als Chance, das Unternehmen für unsere Kunden fitter zu machen“, sagt Harting. Um große Datenmengen im eigenen Betrieb drahtlos übertragen zu können, setzt er auf den neuen Mobilfunkstandard 5G. „Zum Glück können wir seitens der Unternehmen in Deutschland 5G-Campus-Netze aufbauen, weshalb wir in der vom ZVEI angestoßenen Initiative 5G-ACIA aktiv mitarbeiten.“

Zur Anpassungsstrategie von Harting gehört es auch, die Lokalisierung zu verstärken. „Wir erarbeiten für jede Region eine eigene Strategie.“ Nicht nur die Produktion, sondern auch Einkauf, Entwicklung und sogar Plattformen für den Internetvertrieb sollen noch stärker regionalisiert werden. „Dadurch werden wir effizienter und können flexibler auf Kundenbedürfnisse reagieren.“ Zudem senken regionale Lieferketten den Transportbedarf und verbessern dadurch den CO2-Fußabdruck des Unternehmens. Eine weltweite Steuerung sei dadurch allerdings nicht obsolet, im Gegenteil: „Wir setzen global gültige Qualitätsstandards, sowohl für die eigenen Werke als auch für unsere Zulieferer.“

Die deutsche Politik kann den eingeleiteten Wandel Harting zufolge vor allem durch fiskalische Maßnahmen unterstützen. „Uns Familienunternehmer setzt die Mehrfachbesteuerung durch Unternehmens-, Einkommens- und Erbschaftssteuer ganz schön unter Druck.“ Eine Entlastung würde helfen, im Wettbewerb mit staatlich subventionierten Konzernen aus Asien und niedrigsteuerzahlenden US-Unternehmen zu bestehen.

Auf einen „Wettbewerb der Systeme“ sollte man vorbereitet sein, so das Fazit von Philip Harting. „Wenn wir alles richtig machen, können wir auch 2030 noch mitspielen. Denn wir haben eine starke industrielle Basis und wir wissen, wie man produziert.“

Was nicht zu verwechseln ist mit der Aussage: Wir konzentrieren uns auf den europäischen Markt. Im Gegenteil, der Umsatzanteil in Asien und Amerika soll in den kommenden Jahren kräftig ausgebaut werden – nicht durch Exporte, sondern durch Wertschöpfung vor Ort.

Dieser Beitrag ist in der Print-Ausgabe 3.2020 der AMPERE erschienen. Möchten Sie den Artikel dort nachlesen? Dann schreiben Sie uns an presse(at)zvei.org.

Text: Johannes Winterhagen


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