Etwas Chaos und viel Chuzpe
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ampere 3.2021
Auftakt
Das mobile Internet und smarte Technologien sind im Alltag der Menschen angekommen. Nur Politik und Verwaltung begegnen der Digitalisierung noch immer überwiegend misstrauisch.
Acht Jahre sind vergangen, seit die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel das Internet während einer Pressekonferenz als „Neuland“ bezeichnete. Die Ureinwohner dieses Landes, all jene, die sich seit den 1990ern bereits im Netz bewegten, sparten nicht mit Spott. Doch nehmen wir einmal an, im Jahr 2013 wäre die Stunde Null des Internets gewesen: Wie schnell wäre die „Terra incognita“ erkundet, kartografiert und besiedelt worden? Die Zeichen standen nicht schlecht: Die deutsche Elektroindustrie hatte das Produktivitätspotenzial der Digitalisierung längst erkannt und im Schulterschluss mit dem Maschinenbau die „Industrie 4.0“ ausgerufen. Die Autobranche, die hierzulande fast 40 Prozent aller F&E-Ausgaben der Wirtschaft tätigt, arbeitete bereits an autonomen Fahrzeugen.
Acht Jahre und zwei Legislaturperioden des Bundestags später existieren zwei Pole: Auf der einen Seite stehen die Menschen, auf der anderen der Staat. Viele Verbraucher haben sich von analogen Gewohnheiten und Gütern verabschiedet. Am deutlichsten zeigt das der D21-Digital-Index, der vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird: 80 Prozent aller Deutschen über 14 Jahre nutzten 2020 das mobile Internet, 2015 waren es erst 54 Prozent. 97 Prozent aller Berufstätigen bewegen sich mittlerweile im Internet – also eben nicht nur jene, die im Büro oder Homeoffice sowieso am Computer sitzen. Das Smartphone wird von deutlich mehr Menschen als Tor ins Netz genutzt (84 Prozent) als der Rechner auf dem Schreibtisch (47 Prozent). Und mittlerweile sagen sogar 39 Prozent der Befragten, dass sie ein smartes TV-Gerät als Zugang verwenden.
Doch sobald der Blick in die Amtsstuben der Republik fällt, scheint die Zeit stillzustehen. Da werden Formulare von Hand ausgefüllt, Dokumente gefaxt und auch der gute alte Hauspostumschlag existiert noch. Der Mangel an Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung mag pittoresk erscheinen, führt aber stellenweise das Prinzip der Daseinsfürsorge ad absurdum, wenn Lebensbereiche wie Bildung oder Gesundheit betroffen sind. Schnelle Besserung ist nicht in Sicht. In einer im Auftrag des Kompetenzzentrums Öffentliche IT 2020 durchgeführten Studie gaben 32 Prozent der Kommunen an, dass keine Digitalstrategie für die eigenen Aufgaben existiere, weitere 35 Prozent vertrösteten damit, dass man derzeit eine Strategie entwickele. Ineffiziente, nicht digitalisierte Prozesse kosten den Staat Geld, das der Bürger über Steuern oder Gebühren bezahlt. Die viel schlimmere Folge ist jedoch das grundsätzliche Misstrauen der Politik, das allem Digitalen entgegenschlägt. Ein Ausweis dieses Misstrauens war jüngst wieder zu bestaunen: Ladesäulen für Elektroautos sollen ab Mitte 2023 durchgängig mit einem Kreditkartenlesegerät ausgestattet werden, obwohl das mobile Zahlen mit dem Smartphone immer beliebter wird und die Plastikkarte zunehmend verdrängt.
Dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland smarter leben will, daran besteht wenig Zweifel. Es wäre an der Zeit, etwas mehr Zutrauen in die technischen Möglichkeiten zu entwickeln und eine ambitioniertere Digitalpolitik zu gestalten. Wir wiederholen daher sicherheitshalber an dieser Stelle, was bereits im Sommer 2013 in diesem Magazin veröffentlicht wurde: „Das Internet der Dinge verspricht nicht nur mehr Komfort und Multimedia, sondern auch saubere Energie und selbstbestimmtes Leben im Alter.“
Text Johannes Winterhagen | Graphik ZVEI/iStock/DrAfter123, shutterstock/Yevhen Tarnavskyi
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.2021 am 25. August 2021 erschienen.
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