Gewaltenteilung

“Schalter im Kopf umlegen”

Ob Autobahnbrücken, Energienetze oder Mobilfunknetze: Der Aufholbedarf bei der Modernisierung von Infrastrukturen hierzulande ist groß. Die kommende Bundesregierung kann viel für einen Investitionsschub tun, meint Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung.

Die Infrastruktur in Deutschland ist bei Weitem nicht auf dem Stand der Technik. Wie passt das zu einem Land, das die vielleicht leistungsfähigste Industrie der Welt besitzt?

Derzeit leben wir noch von einer Infrastruktur, die vor Jahrzehnten aufgebaut wurde. Es gilt nun, diese Substanz zu erneuern und für neue Technologien fit zu machen.
Dafür waren die Märkte für Infrastrukturen bislang nicht offen genug für Investitionen.

Aktuell investiert der Staat – Bund, Länder und Gemeinden – 92 Milliarden Euro pro Jahr. Reicht das nicht?

Die grundsätzliche gesellschaftliche Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Wie wollen wir Wachstum generieren und wer soll die dafür notwendigen Investitionen finanzieren? Moderne Infrastrukturen – egal ob im Straßen- oder im Datenverkehr – sind die Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand. 

Trotzdem sind die finanziellen Ressourcen begrenzt …

Ich widerspreche Ihrer Ausgangsthese. Es stehen momentan sehr viele finanzielle Ressourcen zur Verfügung, weil privates Kapital aufgrund des billigen Geldes massiv nach Anlagemöglichkeiten sucht. Daher sollten wir Fonds aufstellen, die Infrastrukturinvestitionen finanzieren und das eingebrachte Kapital mit einer ordentlichen Rendite verzinsen.

Das rührt an der Frage, was der Staat machen und was der Privatwirtschaft überlassen werden sollte. 

Das hängt sicher davon ab, über welche Infrastruktur wir reden. Grundsätzlich ist es immer sinnvoll, den Nutzer wesentlich an der Finanzierung zu beteiligen. Dafür muss der Investor in die Lage versetzt werden, Nutzungsgebühren In Rechnung stellen zu können. Im Strommarkt funktioniert das ganz gut: Es gibt kaum ein sichereres Investment als in Stromnetze. In anderen Fällen ist es schwieriger, insbesondere wenn die Refinanzierung teilweise über Steuern erfolgt. Was viele nicht wissen: Steuern dürfen nicht exakt einem bestimmten Verwendungszweck zugeordnet werden.

 

Doch in Berlin läuft jetzt schon die Debatte über Steuererhöhungen und die Rückkehr zur schwarzen Null. 

Noch einmal:  Das private Kapital ist doch vorhanden.  Da ist es doch viel sinnvoller, dieses Kapital zu mobilisieren, anstatt Steuern zu erhöhen oder mehr Schulden zu machen.

In den USA läuft gerade die Debatte, ob nicht eine höhere Staatsverschuldung in Kauf zu nehmen ist, um eine moderne, klimafreundliche Infrastruktur aufzubauen. 

Ich glaube schon, dass es sinnvoll ist, nicht nur beim Klimaschutz, sondern auch bei den Staatsfinanzen künftigen Generationen ausreichend Zukunftsoffenheit zu lassen.  Es ist unstrittig, dass der Staat in Notsituationen wie in der Corona-Pandemie handeln muss, doch er muss den Haushalt dauerhaft wieder ausgleichen. Wenn wir uns an allzu hohe Verschuldungsquoten gewöhnen, sind wir für künftige Krisen schlechter gewappnet.

Selbst wenn das Geld vorhanden ist: In vielen Fällen kann es nicht ausgegeben werden, weil es gegen Infrastrukturprojekte großen Widerstand in der Bevölkerung gibt.

Das ist in der Tat eine Herausforderung. Dass die Gesellschaft den Wert von Infrastrukturen höher einschätzt, ist eine wichtige Aufgabe für die Politik, die der wesentliche Moderator der öffentlichen Diskussion ist. Abgeordnete und Regierung müssen da ihrer Aufgabe nachkommen und nicht abtauchen, sobald es schwierig wird.

Das heißt konkret?

Dass wir uns ehrlich machen müssen. Die Politik sollte klarmachen: Wenn ihr Klimaschutz wollt, brauchen wir diese und jene Infrastrukturen für Stromerzeugung und -verteilung. Dazu gehört auch, individuelle Einspruchsrechte einzugrenzen. Bei bestimmten Themen muss Gemeinwohl Vorrang haben vor dem Wohl des Einzelnen.

Aber selbst wo der Einzelne Vorteile hat, etwa bei Breitband- und Mobilfunknetzen, liegen viele Staaten von Litauen bis Südkorea vor Deutschland. 

Ganz offen: Der deutsche Staat hat die Digitalisierung zum Teil verschlafen. Die Relevanz wurde schlicht nicht erkannt, vielleicht auch, weil wir als alternde Gesellschaft zu saturiert waren. Umso mehr appelliere ich an die Verantwortlichen, immer wieder dar- über nachzudenken, was getan wer- den muss, um Weltklasse zu sein.

Braucht es dafür ein koordinierendes Digitalministerium?

Wie sich die kommende Bundesregierung intern aufstellt, dazu will ich keine Empfehlung abgeben.   Wichtig   ist, dass die Relevanz erkannt wird, auch wenn das Handeln nicht sofort demoskopisch oder volkswirtschaftlich belohnt wird. Es gilt, den Schalter im Kopf der politisch Verantwortlichen umzulegen.

Die deutsche Elektroindustrie erwirtschaftet mehr als jeden zweiten Euro im Ausland. Warum ist Ihnen die Infrastruktur in Deutschland so wichtig?

Der heimische Markt sollte attraktiv bleiben, damit wir in anderen Weltregionen überzeugend argumentieren und wettbewerbsfähig auftreten können. Dafür gilt es, Leitmarkt und Leitanbieter politisch gemeinsam zu denken. Ein nachhaltiger Umgang mit volkswirtschaftlichen Ressourcen gehört für mich auch zur Generationengerechtigkeit.

 

Bild: ZVEI/ Alexander Grüber

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.2021 am 25. August 2021 erschienen.



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