Zwiegespräch

„Gezielte Regulierung kann Vertrauen stärken“

Durch eine menschenzentrierte Künstliche Intelligenz will sich die Europäische Union von anderen Regionen unterscheiden. Doch was bedeutet das für das konkrete Handeln in Politik und Wirtschaft? Im ampere-Zwiegespräch diskutieren Dr. Tanja Rückert, Chief Digital Officer der Bosch-Gruppe, und der Europaparlamentarier Axel Voss.

Ist Künstliche Intelligenz eher eine Chancen- oder eine Risikotechnologie?

Voss: Im Europaparlament wird von bestimmten Parteien und Personen immer wieder das Risiko betont. Ich versuche zu vermitteln: KI ist auch eine Chance, wenn wir den Rahmen gut gestalten. Das Thema ist strategisch für Europa so relevant, dass wir von vielen Märkten verschwinden werden, wenn wir es nicht schaffen, KI-basierte Wertschöpfungsmodelle zu erarbeiten. 

Rückert: Aus meiner Sicht überwiegen klar die Chancen. Nur mit KI ist es möglich, große Datenmengen in Sekundenbruchteilen auszuwerten und diese Ergebnisse für komplexe Lösungen zu nutzen. Bei Bosch haben wir uns daher vorgenommen, dass im Jahr 2025 alle Produkte entweder über diese Schlüsseltechnologie verfügen oder zumindest mithilfe von KI hergestellt werden. Es gibt aber natürlich auch Risiken, und diese müssen wir vernünftig adressieren.

Welche Risiken sind denn überhaupt real, so lange es sich um schwache, also auf bestimmte Aufgaben spezialisierte KI handelt?

Rückert: Eine Sache vorweg: KI ist für uns kein Selbstzweck. Wir setzen sie nur ein, wenn wir durch den Einsatz von KI den Nutzen für die Gesellschaft erhöhen können. Wenn sie bei den Menschen aber keine Akzeptanz findet, wird sie sich nicht durchsetzen. Zielführende Regulierung kann eine wichtige Rolle spielen, um mehr Vertrauen in die Schlüsseltechnologie zu schaffen. Zudem müssen wir darauf achten, dass für den Menschen die Interaktion mit KI nachvollziehbar bleibt. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass wir die KI schlicht überschätzen. Das könnte dazu führen, dass wir zu viel diskutieren und zu wenig tun.

Voss: Wir diskutieren tatsächlich mehr als wir handeln. Das betrifft auch die ganzen Voraussetzungen, um KI überhaupt betreiben zu können, also beispielsweise Investitionen in die Infrastruktur. 

Seit April liegt ein Vorschlag der EU-Kommission auf dem Tisch, der KI stärker regulieren soll – eine gute Idee?

Voss: Zunächst einmal soll ein Rechtsrahmen für den KI-Einsatz geschaffen werden. Der enthält eine Wunschliste, die jeder Algorithmus erfüllen soll. Sie reicht von Anforderungen an die Cybersicherheit bis hin zur Diskriminierungsfreiheit. Zentral ist die Forderung nach einer menschenzentrierten KI, die dem Menschen dienen soll und ihn nicht nur zum Objekt macht. Vom Ansatz her ist das richtig. Letztlich ist aber die Frage wichtiger, wie wir dieses Ziel erreichen wollen. Ohne personenbezogene Daten zu nutzen, wird das sehr schwierig. Ein Beispiel: Man kann einen Menschen eventuell auch anhand der Stellung der Rippen zueinander identifizieren. Gleichzeitig ist die Bilddatenauswertung mittels KI eine der großen Chancen für medizinischen Fortschritt. 

Rückert: Für uns hat der verantwortungsvolle Umgang mit personenbezogenen Daten höchste Priorität. Dazu gehört Transparenz darüber, welche Daten zu welchem Zweck gespeichert und verarbeitet werden. Vertrauen ist eine entscheidende Währung in einer vernetzten Welt und für uns wesentliches Qualitätsmerkmal. Deshalb haben wir uns mit dem Bosch KI-Kodex frühzeitig ethische Leitlinien für den Umgang mit KI gegeben und folgen dem Anspruch, vertrauenswürdige KI-Produkte herzustellen. Eine solche Selbstverpflichtung macht es zwar nicht leichter, KI-Anwendungen zu entwickeln, zumal wir im Wettbewerb mit Unternehmen aus anderen Weltregionen stehen. Wir sehen aber den daraus resultierenden „Digital Trust“ als Vorteil für unsere Kunden und Anwender. Letztlich ergibt sich so auch ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen wie Bosch, die das Thema „Digital Trust“ in den Fokus nehmen. Das kann analog für die in Europa geplante Regulierung gelten – solange hier nicht überreguliert wird.

Voss: Theoretisch stimme ich Ihnen zu. In der Praxis sehe ich schon noch Hürden. Es müsste gelingen, Datenschutzbehörden von Anfang an in neue Entwicklungen einzubinden, damit wir nicht langsamer werden als Akteure aus anderen Weltregionen. In der digitalen Welt – so mein Eindruck – hat derjenige, der mit einer guten Idee zuerst kommt, große Chancen auf eine Monopolstellung. Wenn wir Unternehmen erst einmal entwickeln lassen und dann hoheitlich prüfen, werden wir zu langsam sein.

In der geplanten Richtlinie werden detaillierte Risikoklassen für KI-Anwendungen genannt. Bremst das die europäische Industrie nicht aus?

Voss: In der Tat könnte ein solches Vorgehen zur Bremse werden. Ich hoffe noch darauf, dass wir im Parlament Mehrheiten für ein vernünftiges Vorgehen finden. Wir sollten uns auf bestimmte Hochrisiko-Technologien konzentrieren. Dazu zähle ich autonome Systeme im Verkehr. Nicht nachvollziehen kann ich hingegen, dass die Kommission in biometrischen Systemen per se eine Hochrisiko-Technologie sieht. Klar muss man mit der Gesichtserkennung im öffentlichen Raum vorsichtig umgehen, aber das in eine generelle KI-Richtlinie zu packen, ist völlig daneben. 

Rückert: Gezielte und angemessene Regulierung kann das Vertrauen in KI stärken. Man sollte aber gesetzliche Vorgaben schon so gestalten, dass wir sie als Unternehmen auch erfüllen können. Widersprüchliche Vorgaben für unterschiedliche Anwendungsbereiche hemmen Innovation. Wir unterstützen aber auf jeden Fall die Idee, je nach Risikoklasse auf Selbst- oder Drittzertifizierung zu setzen, und erarbeiten dafür auch einen firmenübergreifenden Prozess zur freiwilligen Selbstzertifizierung von KI-Produkten. Das ist wichtig, damit wir in einem digitalen Ökosystem auch Kunden und Lieferanten in die Zertifizierung einbeziehen können und nicht am digitalen Werkstor Halt machen müssen.

Ist es realistisch, außereuropäische Partner auf unsere Werte zu verpflichten?

Voss: Das genau ist das Ziel europäischer Digitalpolitik. Wir wollen trotz der Sandwich-Position zwischen China und den USA nach vorne kommen. Wenn es Unternehmen schaffen, wertebasiert zu arbeiten und trotzdem schnell genug agieren, wäre das ideal.

Rückert: Unsere Werte gelten überall auf der Welt. Was mich in diesem Zusammenhang aber viel mehr bewegt: Wie können wir die Position Europas stärken? Es wäre wegweisend, wenn wir KI nicht nur regulieren, sondern auch in den technischen Fortschritt und die notwendige Infrastruktur investieren. 

 

Was wären denn die wichtigsten politischen Schritte, um die digitale Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken?

Voss: Wir sollten uns fragen, was wir tun müssen, um in der digitalen Welt überhaupt überleben zu können. Aus meiner Sicht hinken wir überall hinterher, und daher hat auch alles Priorität: Wir brauchen Infrastrukturen, wir brauchen Bildung und Ausbildung, wir brauchen mehr Cybersicherheit. Das bedeutet: Wir brauchen massiv mehr Geld. Und wir sollten unseren Umgang mit personenbezogenen Daten überprüfen. Das alles wäre möglich, wenn wir nur wollen.

Rückert: Grundsätzlich sollte Regulierung innovations- und investitionsfördernd gestaltet werden. Darüber hinaus brauchen wir Investitionen in die digitale Infrastruktur. Zentrale Voraussetzung für unsere Wettbewerbsfähigkeit ist eine souveräne und offene Dateninfrastruktur. Gaia-X ist das Tool, um diese Souveränität zu erreichen. Natürlich ist es in einer Organisationsstruktur mit vielen Partnern anfangs nicht immer ganz leicht, sich zu einigen. Und natürlich wäre es uns manchmal lieber, es ginge etwas schneller. Aber mittlerweile ist das Projekt weit vorangeschritten. Ich erwarte, dass wir spätestens Anfang kommenden Jahres die ersten Früchte sehen.

Voss: Mir dauert das eigentlich zu lange. Wir müssen die Kräfte in Europa bündeln, dürfen aber den Zeitfaktor nicht außer Acht lassen. Trotzdem brauchen wir Projekte wie Gaia-X auf verschiedenen Ebenen.

 

Falls es im Heimatmarkt Europa nicht klappt, können dann global tätige Unternehmen die Entwicklung digitaler Produkte nicht an andere Standorte verlagern?

Rückert: Unser strategischer Vorteil gegenüber großen Software-Konzernen ist das Domänenwissen, also die genaue Kenntnis von den „Dingen“ und vor allem deren Nutzung. Es ist wichtig, dieses Domänenwissen und das Digital-Know-how zusammenzubringen. Dafür müssen nicht alle an einem Standort sitzen, aber es wäre keinesfalls klug, das Wissen, das wir hier in Deutschland und in Europa haben, nicht für die Entwicklung digitaler Lösungen zu nutzen. 

Voss: Aus politischer Sicht wäre zu ergänzen, dass wir in Europa erhebliches KI-Know-how benötigen, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Würden Sie sich einen Androiden mit starker KI als Haushaltshilfe bestellen, wenn es den schon gäbe?

Voss: Ja, ich würde das ausprobieren wollen, weil ich einfach ein neugieriger Mensch bin. Noch hilfreicher fände ich es aber, wenn wir das autonome Fahren bekommen. 

Rückert: Natürlich würde ich einen solchen Androiden auch testen wollen. Ich würde aber ganz genau darauf achten, wer die starke KI programmiert hat und ob das wirklich zum Wohl des Menschen geschehen ist.

 

Text Johannes Winterhagen | Fotografie Katrin Binner

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.2021 am 25. August 2021 erschienen.



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