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29.10.2020
Der Anteil Chinas an der globalen Industrieproduktion belief sich bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie auf gut 28 Prozent. Damit lag er fast so hoch wie die jeweiligen Beiträge der USA, Japans und Deutschlands zusammen. Zwar stieg besagter Anteil der Volksrepublik in den letzten Jahren etwas langsamer, aber er stieg eben immer noch.
Dabei ist die industrielle Basis Chinas inzwischen so außerordentlich breit wie tief. Die Herstellung erstreckt sich von T-Shirts und Turnschuhen über Gesichtsmasken bis hin zu High-end-Biotechnologie. Anfang Februar wurden in China zehn Millionen Gesichtsmasken pro Tag erstellt – die Hälfte des weltweiten Angebots. Nur einen Monat später kam die Produktion schon auf knapp 120 Millionen Stück täglich. In der Elektrobranche steuert China heute exakt die Hälfte der weltweiten Fertigung bei. 27 Prozent aller deutschen Elektroimporte kommen aus dem Land.
In vielen Bereichen wird die komplette Wertschöpfungskette abgedeckt. Lag der fremdproduzierte Anteil am chinesischen Exportwert 2005 noch bei mehr als 26 Prozent, so war er bis 2016 bereits auf weniger als 17 Prozent gesunken. Vor allem auch im Bereich der Elektronik nimmt die Eigenfertigung stark zu.
Zwar sind die Löhne in der Volksrepublik mit den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs spürbar gestiegen. Eine immer bessere Infrastruktur, industrielle Cluster und stetige Investitionen in die Modernisierung der Fabriken haben es aber möglich gemacht, nicht nur international konkurrenzfähig zu bleiben, sondern vielmehr die globale Wettbewerbsfähigkeit noch zu steigern.
Aufgrund seines riesigen (Binnen-)Marktes – die Bevölkerung zählt 1,4 Milliarden Einwohner – bleibt China attraktiv für ausländische Direktinvestitionen. Das begünstigt die Produktion (von heimischen wie fremden Firmen) im Land. Die Volksrepublik wurde als erste von der Corona-Pandemie getroffen. Dass sie entsprechend früher wieder aus dem Lockdown aussteigen konnte, hat den chinesischen Exporteuren weltweit Marktanteilsgewinne beschert. Im April dieses Jahres kamen 24 Prozent der europäischen und im Mai 30 Prozent der japanischen Importe aus China. Nie zuvor lagen diese Werte höher. Im zweiten Quartal 2020 ist der Anteil der Volksrepublik an den globalen Warenexporten auf mehr als 13 Prozent gestiegen – auch das ein Rekord.
Gleichwohl könnte die Spitze des chinesischen Anteils an der globalen Industrieproduktion langsam erreicht sein. So hat die Corona-Krise das Bewusstsein für die zwischenzeitlich stark gewachsene Abhängigkeit von China überall im Ausland geschärft – und zwar sowohl bei den Unternehmen (Stichwort: Liefer- und Wertschöpfungsketten) als auch bei den Staaten (Stichwort: kritische Versorgung). Länder wie Indien oder Taiwan versuchen bereits, Firmen mit günstigen Darlehen, preiswerten Grundstücken oder anderen Anreizen aus China abzuwerben. Zahlreiche Low-end-Produzenten ziehen ohnehin schon in Länder Südostasiens weiter, weil ihnen die Kosten in der Volksrepublik zwischenzeitlich zu stark gestiegen sind. Und dann ist da noch der letztlich schärfer werdende Systemstreit zwischen China und den USA. Um hier politische Risiken zu minimieren, wird jetzt so manches Auslandsengagement in der Volkrepublik zurückgestellt.
Die Schweizer Bank UBS schätzt, dass 20 bis 30 Prozent der Industriekapazität in China abwandern könnten. Das wird sicherlich nicht von jetzt auf gleich passieren. Aber dass die Volksrepublik ihre dominante industrielle Stellung immer weiter wird ausbauen können, scheint nicht unbedingt ausgemacht.
Dr. Andreas Gontermann