Zwiegespräch

„Gebäude zu Energieproduzenten machen“

Bauen und Wohnen werden teurer. Ein Grund, notwendige Klimaschutzmaßnahmen zurückzustellen, ist das weder für Sandra Weeser, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen, noch für den Unternehmer Daniel Hager. 

 

Herr Hager, Sie haben Ihren Lebensmittelpunkt in München, der Stadt mit den höchsten Immobilienpreisen in Deutschland … 
Hager: Richtig, das ist ein Dauerthema in der Stadt. Schon in der Vergangenheit konnten sich viele Menschen die Mieten im Stadtgebiet nicht leisten. Und jetzt kommen noch die steigenden Energiekosten hinzu. 

… und Ihr Wahlkreis, Frau Weeser, liegt in einer sehr ländlichen Region am Rande von Rheinland-Pfalz. 
Weeser: Trotzdem kann man da Parallelen ziehen. Bei uns ist zwar das Wohnen günstiger, dafür sind die Einkommen auch geringer. 

In dieser Situation verfolgen sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung ehrgeizige Pläne für den Klimaschutz, die das Schaffen von neuem Wohnraum nicht billiger machen. Wäre es nicht besser, diese Pläne zunächst auf Eis zu legen?
Weeser: Halten wir erst einmal fest: Nicht der Staat baut, sondern private Investoren. Je nachdem, wie wir die Rahmenbedingungen setzen, wird mehr oder auch weniger gebaut.  
Hager: Den notwendigen Klimaschutz, der durch einen breiten Konsens in der Gesellschaft getragen wird, sollten wir keineswegs hintanstellen. Wir müssen die langfristigen Ziele im Blick behalten. Denn Gebäude, die wir heute bauen, werden die nächsten 40, 80 oder gar 100 Jahre genutzt.
Weeser: Die steigenden Energiepreise führen ja auch dazu, dass die energetische Sanierung im Bestand attraktiver wird. Digitale Lösungen, etwa für die Steuerung von Heizungen, können übrigens auch kurzfristig große Wirkung entfalten. 

Der Bestand, das sind rund 21 Millionen völlig unterschiedliche Gebäude in Deutschland. Wo sollte man da Schwerpunkte setzen? 
Hager: Erst einmal ist es gut, dass die Politik erkannt hat, wie wichtig die Sanierung des Bestands ist. Dabei geht es nicht nur um die Dämmung, sondern vor allem auch um die technische Ausstattung des Gebäudes. Wenn wir die Energie- und Verkehrswende erfolgreich gestalten wollen, müssen die elektrische und die digitale Infrastruktur von Gebäuden auf dem neuesten Stand sein.
Weeser: Relativ kritisch sehe ich die Neufassung der EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie (EPBD), welche die Gebäude mit der schlechtesten Energiebilanz zuerst in den Fokus nimmt. Denn da haben die Eigentümer oft schlicht die Mittel nicht, eine umfassende Sanierung anzugehen. Das größte Potenzial sehe ich eher bei Gebäuden im mittleren Zustand. Wir müssen alles auch so gestalten, dass es keine sozialen Verwerfungen gibt.
Hager: Ich frage mich allerdings, wo der Hebel ist, um speziell Eigentümer von Gebäuden im mittleren Segment dazu zu bewegen, bestimmte Maßnahmen durchzuführen. Ich denke, das Klügste wäre, dort anzusetzen, wo ohnehin Sanierungsmaßnahmen geplant sind. Und außerdem sollte über eine CO2-Bepreisung der Handlungsdruck aufrechterhalten werden. 

 

Wie sähe darüber hinaus ein wirkungsvolles Anreizsystem für Gebäudesanierungen aus? 
Weeser: Mit dem Koalitionsvertrag haben wir uns vorgenommen, die CO2-Emission pro Quadratmeter zum Maßstab zu machen. Denn das Ziel ist ja nicht, bestimmte Technologien zu fördern, sondern die CO2-Emissionen zu senken. Mit den steigenden Energiepreisen besteht bereits ein wichtiger Anreiz dafür, Gebäude vom CO2-Emittierenden zum Energieproduzierenden zu machen.
Hager: In der Marktwirtschaft sind steigende Preise in der Tat ein hoher Anreiz, Technologien einzusetzen, die die Effizienz steigern. Und die Technologien, um vom Emittierenden zum Produzierenden zu werden, sind ja vorhanden. Allerdings sind dazu viele Gebäude aufgrund der veralteten Elektroinstallation noch nicht in der Lage. Das gilt erst recht, wenn Ladestationen für Elektrofahrzeuge zugebaut werden sollen. Hinzu kommt, dass in den meisten Gebäuden der Energieverbrauch noch gar nicht in Echtzeit erfasst wird, die Bewohnerinnen und Bewohner also gar nicht direkt sehen, wie sich ihr Verhalten auf die Energiekosten auswirkt. 

Gilt das auch für die zwei Millionen Nicht-Wohngebäude? 
Hager: Sofern es sich um Gewerbe-Immobilien handelt, folgt die Nutzung meistens festen Rhythmen, sodass die Gebäudeautomation deutlich einfacher fällt. Auch die Installation von Solarmodulen auf Gebäudedächern, Wärmepumpen, Energiespeichern und anderen Technologien folgt wirtschaftlichen Abwägungen und unternehmerischem Handeln.
Weeser: Im gewerblichen Bereich ist Kostenoptimierung ohnehin immer ein Treiber. Der Staat sollte es Unternehmerinnen und Unternehmern einfach machen, zu investieren und den bürokratischen Aufwand gering halten. Da ist noch Luft nach oben. 

Und wie bekommt man die Kommunen dazu, Schulen und andere Gebäude schneller zu sanieren? 
Weeser: Die öffentliche Hand muss mit gutem Beispiel vorangehen. 

Allerdings sagen viele Städte, sie hätten dafür weder Geld noch das Personal. 
Weeser: Dieses Argument zählt doch bei Privateigentümerinnen und -eigentümern oder Gewerbetreibenden auch nicht! Man kann nicht von anderen etwas verlangen, das zu leisten man selbst nicht imstande ist. Und was die Schulen betrifft, hat das doch auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Es passt nicht zusammen, wenn wir die weltbesten Fachkräfte ausbilden wollen und die Kinder in abbruchreife Immobilien schicken.
Hager: Wenn man sieht, für welche Dinge Geld zur Verfügung steht, wenn es darauf ankommt, wundert man sich als Bevölkerung, warum bislang so wenig Priorität bei der Bildung gesetzt wird. Dazu gehören eben auch die Schulgebäude als Orte des Lernens. Die sollten selbstverständlich schnell klimaneutral und hinsichtlich elektrischer und digitaler Infrastruktur zukunftsfest gemacht werden. Ich weiß, dass das mit dem aktuellen Rohstoff- und Handwerkermangel nicht einfach ist, aber wir sollten eine klare Richtung vorgeben. 

Kann auch moderne Technik dazu beitragen, Sanierungen einfacher zu machen? 
Hager: Angesichts des aktuellen Fachkräftemangels müssen wir natürlich mehr junge Menschen für die Handwerksberufe gewinnen. Aber wir müssen damit leben, dass es weniger Fachkräfte gibt, und sind daher gefordert, deren Arbeit weiter zu vereinfachen.  

Nach dem Motto „Plug and Play“? 
Hager: Da sind wir heute noch nicht, aber im Kern fußt unsere gesamte Arbeit darauf, Elektroinstallation und Gebäudeautomatisierung einfacher und schneller zu machen. Das reicht bis zur Entwicklung lernender Systeme, die sich automatisch auf das Nutzerverhalten einstellen, sodass der Handwerker oder die Handwerkerin gar nicht mehr vorbeikommen muss, um eine bereits installierte Anlage zu ändern. 

Was kann die Politik beitragen?
Hager: Da ist Einwanderung ein ganz wichtiges Thema. Wir sollten uns fragen, wie wir Einwanderung steuern und wie wir die Anerkennung der Berufsausbildung gestalten.
Weeser: Genau dafür haben wir als Ampel-Regierung ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild in Planung, das eine gesteuerte Einwanderung qualifizierter Menschen erleichtert. Deutschland muss als Einwanderungsland für Fachkräfte attraktiver werden.  

Nehmen wir an, wir schaffen es, sehr schnell sehr viele Gebäude zu sanieren. Was muss passieren, damit diese Gebäude dann in das Energie- und Verkehrssystem der Zukunft passen?
Weeser:
Ganz sicher gehört dazu, Verteilnetze und digitale Infrastruktur so auszubauen, dass Gebäude innerhalb eines Quartiers Energie und Informationen austauschen können. Es ist doch sinnvoller und wirtschaftlicher, überschüssigen Solarstrom zu teilen, als überall möglichst große Speicher vorzuhalten.
Hager: Es muss zunächst so einfach wie möglich werden, den in einem Gebäude produzierten Strom an den Nachbarn zu verkaufen. Für umfassende Quartierslösungen in einem dezentralen Energiesystem braucht es eine ordnende und steuernde Hand. Es scheint mir nicht sinnvoll, überall Windkraftanlagen hinzustellen, wenn wir doch gleichzeitig Gebäude zu Mini-Kraftwerken machen könnten. 

Was fehlt ansonsten zum Gelingen der Energiewende im Gebäude? 
Weeser: Ich denke, wir sollten mehr Mut haben, Neues auszuprobieren. Dazu gehört auch das Erforschen und Implementieren von innovativen und nachhaltigen Baustoffen. Viele kleinere Unternehmen in der Baubranche brauchen Unterstützung bei der Forschung, hier können etwa Reallabore nützlich sein.
Hager: Digitale und elektrische Technologien sind existenziell, nicht nur für das Klima, sondern für den Industriestandort Deutschland insgesamt, insbesondere wenn wir uns von alten Schlüsseltechnologien verabschieden. Deshalb sollten wir mutig sein und den Einsatz neuer Technologien hier im Land aktiver fördern.  

Herzlichen Dank für das Gespräch! 

Text Johannes Winterhagen | Fotos ZVEI / Markus Hintzen

 

Dieser Artikel wird in der Ausgabe 3.2022 am 12. August 2022 erscheinen.



Erschienen in der Ausgabe 1.+2.2022

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