Zwiegespräch

„Wir brauchen höchstmögliche Transparenz“

Die von der Bundesregierung geförderte Initiative Manufacturing-X (MFX) soll einen Datenraum für Industrie 4.0 schaffen, der einen sicheren und transparenten Datenaustausch und innovative Geschäftsmodelle ermöglicht. Was dahintersteckt und was nun passieren muss, diskutiert ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel mit Dr. Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. 

 

Frau Dr. Brantner, die Industrie muss sich stärker digitalisieren, um souverän wirtschaften zu können. Wo stehen wir aus Ihrer Sicht in Deutschland? 
Brantner: Wir haben hier bereits gute Technologien und Akteure und nehmen in einzelnen Bereichen eine Vorreiterrolle ein. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, wenn wir im internationalen Wettbewerb an der Spitze bleiben wollen. Mir ist es wichtig, dass wir Manufacturing-X als eine Aufgabe ansehen, die wir nicht allein für Deutschland leisten. Wir müssen von vornherein einen europäischen Rahmen schaffen, in dem Daten entlang der gesamten Wertschöpfungsketten besser als bisher erhoben, geteilt und damit nutzbar gemacht werden können. Darüber hinaus wollen wir sicherstellen, dass dieser unseren Standards entspricht, unsere Resilienz steigert und die Teilhabe von vielen ermöglicht. 

Herr Dr. Kegel, wie stellt sich das aus Sicht der Industrie dar? 
Kegel: Tatsächlich müssen wir unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Wenn es um das Industrial Internet of Things geht, macht unserer Industrie niemand was vor. Gleich ob Konzern oder mittelständisches Unternehmen: Wenn es um die Vernetzung der Industrie geht, sind wir weltweit führend. Das fängt beim Aktuator und beim Frequenzumrichter an, setzt sich über die Sensorik fort und hört beim Steuerungs­system noch lange nicht auf. Auch deshalb hat unsere Auto­matisierungstechnik einen Exportüberschuss von annähernd 100 Prozent. Auch China ist hier kein wirklicher Wettbewerber, sondern nach wie vor eher ein riesiger Absatzmarkt. 

Nun arbeiten Industrie und Regierung gemeinsam an der Initiative Manufacturing-X. Was soll sie bewirken?
Kegel: Diese Art der Zusammenarbeit erproben wir ja schon länger, mit dem europäischen Projekt Gaia-X zum Beispiel. Es definiert die grundlegenden regu­latorischen Voraussetzungen, wie wir Datenräume so gestalten, dass sie sicher, zuverlässig und vertrauensvoll sind. Die Initiative Catena-X wiederum verknüpft entlang der Wertschöpfungskette Zulieferer, Autohersteller und die Absatzstruktur – und damit unterschiedliche Warenwirtschaftssysteme. Nun wollen wir mit Manufacturing-X eine Cloud-ähnliche Lösung für einen Datenraum entlang des Lebenszyklus von Produkten schaffen. Die notwendige Interopera­bilität und die technischen Standards haben wir in den zurückliegenden zehn Jahren größtenteils entwickelt – auch aus dem ZVEI heraus, beispielsweise mit dem digitalen Zwilling. Die Grundlagen einer europäischen Datenwirtschaft sind somit gelegt, mit MFX wollen wir jetzt den nächsten großen Schritt machen.

Brantner: Und dieser nächste Schritt ist mit Blick auf die digitale und ökologische Transformation vielversprechend. Ein Beispiel: Wir können mit einem solchen Datenraum die Kreislaufwirtschaft ankurbeln. Wenn bei einem Unternehmen Abfälle anfallen, die ein anderes Unternehmen nutzen könnte, wissen die beiden potenziellen Partner heute meist nichts voneinander. Deswegen ist es so wichtig, die Informationen, die entlang der Wertschöpfungskette entstehen, noch mal anders verwenden zu können. MFX schafft Transparenz, Vertrauen und damit neue Chancen für innovative und grüne Geschäftsmodelle.

Kegel: Ein weiterer Vorteil: ZVEI und VDMA arbeiten eng zusammen, um unsere Vorstellung einer europäischen Datenplattform sogleich mit „Wumms“ zu versehen. Wir sind sicher, dass gerade unsere beiden starken Industrien einen Sog auf andere Branchen ausüben können, auch auf die Chemie-, Pharma- und Lebensmittelbranchen mit ihren heterogenen Anforderungen. Auf diese Weise definieren wir Plattformökonomie neu und stärken Europas Resilienz.

Was genau soll Manufacturing-X leisten? 
Kegel: Im europäischen Datenraum sollen die beteiligten Unternehmen Geschäftsmodelle etablieren können, ohne dass sie abhängig von den US-amerikanischen Hyperscalern sind. Wer bei MFX seine Daten hinein gibt, bleibt Souverän über diese, selbst wenn andere sie nutzen und als Gegenleistung dafür ein „Micro-Payment“ leisten. Auf diese Weise definieren wir Plattformökonomie neu und stellen sie föderal in den Dienst aller. 

Brantner: Unsere europäische Souveränität zu stärken ist uns auch ein wichtiges Anliegen – und wir müssen aufpassen, dass wir bei der Digitalisierung unserer Industrie nicht ungewollt Einfallstore für Datenspione schaffen. Sonst ist die Technologie am Ende nicht mehr bei uns, sondern woanders in der Welt. Aus diesem Grund wollen wir auch einen staatlichen Beitrag zur Datensicherheit leisten.

Kegel: In diesem Kontext ist wichtig, auch die rechtlichen Grundlagen der Verwendung von Daten zu überprüfen. Wir müssen zügig aus der Haltung einer kompletten Prohibition herausfinden. Die Datenschutzgrundverordnung stammt geistig aus den achtziger Jahren und passt vorne und hinten nicht mehr. Nahezu alles zu verbieten, können wir uns nicht erlauben. Deshalb blicken wir positiv auf den EU Data Act, der – trotz Schwächen im Detail – zum Datenteilen motiviert.

Brantner: Als Ministerium haben wir natürlich auch ein Interesse daran, dass unser Standort wettbewerbsfähig bleibt. Vertrauen und Sicherheit sind wichtig, damit insbesondere kleine und mittlere Unternehmen mitmachen. Deshalb legen wir ein besonderes Augenmerk auf die Vertrauenswürdigkeit unserer Datenplattform „Made in Europe“. Was mir darüber hinaus wichtig ist: Wir haben explizit gesagt, dass die Entwicklung von Manufacturing-X ein Lernprozess für alle sein soll – das war bei Catena-X auch schon so. Auf unserer Seite ist die Bereitschaft groß, schnell anzufangen, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und gegebenenfalls flexibel nachzusteuern. Das ist besser, als mit der unrealistischen Einstellung reinzugehen, am Anfang alles perfekt zu wissen und für die Korrektur dieses Irrtums deutlich länger zu brauchen, als wenn wir gleich mit einem flexiblen Verständnis beginnen.

Sie sprechen die Geschwindigkeit an: In Deutschland wird ja gerne – und oft zu Recht – beklagt, dass die Digitalisierung nicht schnell genug vorangeht. Wie schätzen Sie das beim Thema Manufacturing-X ein? 
Brantner:Wir haben einen ambitionierten Plan – und wir arbeiten daran, ihn zügig umzusetzen. Wir müssen ein solches Projekt klug aufsetzen, gut durchdenken und auch testen. Im luftleeren Raum etwas zu konstruieren, das in der Realität floppt, verspielt Vertrauen. Und dieses ist besonders wichtig, wenn wir neue Potenziale ausschöpfen wollen. 

Kegel:Vertrauen zu wecken, ist in der Tat das A und O. Immerhin ist Manufacturing-X für die meisten Unternehmen noch völlig neu. Insbesondere der Mittelstand muss erst überzeugt werden. Dieser digitalisiert oftmals noch proprietär, mit internen Lösungen. Einen größeren Datenraum kann ein Mittelständler aber aus eigener Kraft nicht errichten. Selbst die mächtige Autoindustrie musste feststellen, dass einzelne Hersteller dazu nicht in der Lage sind. Bevor wir uns im Großen übernehmen, sollten wir mit kleinen Daten­räumen beginnen, in denen digitale Inhalte sinnvoll geteilt werden können. 

Sie sprechen den Mittelstand an. Wie bekommen Sie diesen dazu, sich zu beteiligen? 
Kegel: Im Grunde ist ein solcher Datenraum ein Thema für ein klassisches Monopolunternehmen, das einfach Standards durchsetzen kann. Ein solches haben wir in Europa aber nicht – und das wollen wir auch nicht, weil sonst der klein- und mittelständisch geprägten Industrie die Abhängigkeit von monopolistischen Plattformbetreibern droht. Deswegen brauchen wir einen konsensualen Ansatz, der insbesondere die großen Mittelständler von Anfang an in die Definition der Rahmenbedingungen integriert. Am Ende muss ein System stehen, das jeder Mittelständler bis hinunter zum Kleinunternehmen umsetzen kann – so wie heute jeder seinen eigenen Webshop baut. Dafür müssen die Werkzeuge standardisiert sein. Ich stelle mir das bei Manufacturing-X immer wie einen Baukasten vor: Man nimmt einzelne Bausteine, die nach Gaia-X-Spezifika zertifiziert sind, steckt diese zusammen, und es funktioniert. 

Wenn Manufacturing-X in einer ersten Variante steht: Wie bekommen Sie die Unternehmen dazu, sich direkt zu beteiligen?
Kegel: Entscheidend ist der Nutzen einer solchen Plattform. Diesen schnell und glaubwürdig sichtbar zu machen, vor der Aufgabe stehen wir jetzt. Dass sich die Bundesregierung engagiert, hilft dabei enorm, gerade im engen Zusammenspiel mit ZVEI und VDMA. Nur so können wir – wie seinerzeit mit der Verbändeplattform in den Anfängen von Industrie 4.0 – schnell eine breite Teilhabe erreichen.

Frau Brantner, was sind für Sie die Erfolgsfaktoren an dieser Stelle? 
Brantner: Wir müssen auf der einen Seite gute Infrastruktur bauen und auf der anderen Seite klare Regeln definieren. Und wir brauchen eine höchstmögliche Transparenz, um das Vertrauen zu stärken. Da wir uns von Anfang an miteinander abstimmen und es gemeinsam auf den Weg bringen, bin ich zuversichtlich, dass dadurch auch viele neue Kooperationen und Geschäftsmodelle entstehen können. Mein Eindruck ist, dass alle Partner momentan ein gutes Tempo vorlegen und ein guter Spirit herrscht. Wenn wir als Regierung dazu einen Beitrag leisten können, umso besser. 

Text Marc-Stefan Andres | Illustration Inna Heller

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.2023 am 11. April 2023 erschienen.



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