Nun arbeiten Industrie und Regierung gemeinsam an der Initiative Manufacturing-X. Was soll sie bewirken?
Kegel: Diese Art der Zusammenarbeit erproben wir ja schon länger, mit dem europäischen Projekt Gaia-X zum Beispiel. Es definiert die grundlegenden regulatorischen Voraussetzungen, wie wir Datenräume so gestalten, dass sie sicher, zuverlässig und vertrauensvoll sind. Die Initiative Catena-X wiederum verknüpft entlang der Wertschöpfungskette Zulieferer, Autohersteller und die Absatzstruktur – und damit unterschiedliche Warenwirtschaftssysteme. Nun wollen wir mit Manufacturing-X eine Cloud-ähnliche Lösung für einen Datenraum entlang des Lebenszyklus von Produkten schaffen. Die notwendige Interoperabilität und die technischen Standards haben wir in den zurückliegenden zehn Jahren größtenteils entwickelt – auch aus dem ZVEI heraus, beispielsweise mit dem digitalen Zwilling. Die Grundlagen einer europäischen Datenwirtschaft sind somit gelegt, mit MFX wollen wir jetzt den nächsten großen Schritt machen.
Brantner: Und dieser nächste Schritt ist mit Blick auf die digitale und ökologische Transformation vielversprechend. Ein Beispiel: Wir können mit einem solchen Datenraum die Kreislaufwirtschaft ankurbeln. Wenn bei einem Unternehmen Abfälle anfallen, die ein anderes Unternehmen nutzen könnte, wissen die beiden potenziellen Partner heute meist nichts voneinander. Deswegen ist es so wichtig, die Informationen, die entlang der Wertschöpfungskette entstehen, noch mal anders verwenden zu können. MFX schafft Transparenz, Vertrauen und damit neue Chancen für innovative und grüne Geschäftsmodelle.
Kegel: Ein weiterer Vorteil: ZVEI und VDMA arbeiten eng zusammen, um unsere Vorstellung einer europäischen Datenplattform sogleich mit „Wumms“ zu versehen. Wir sind sicher, dass gerade unsere beiden starken Industrien einen Sog auf andere Branchen ausüben können, auch auf die Chemie-, Pharma- und Lebensmittelbranchen mit ihren heterogenen Anforderungen. Auf diese Weise definieren wir Plattformökonomie neu und stärken Europas Resilienz.
Was genau soll Manufacturing-X leisten?
Kegel: Im europäischen Datenraum sollen die beteiligten Unternehmen Geschäftsmodelle etablieren können, ohne dass sie abhängig von den US-amerikanischen Hyperscalern sind. Wer bei MFX seine Daten hinein gibt, bleibt Souverän über diese, selbst wenn andere sie nutzen und als Gegenleistung dafür ein „Micro-Payment“ leisten. Auf diese Weise definieren wir Plattformökonomie neu und stellen sie föderal in den Dienst aller.
Brantner: Unsere europäische Souveränität zu stärken ist uns auch ein wichtiges Anliegen – und wir müssen aufpassen, dass wir bei der Digitalisierung unserer Industrie nicht ungewollt Einfallstore für Datenspione schaffen. Sonst ist die Technologie am Ende nicht mehr bei uns, sondern woanders in der Welt. Aus diesem Grund wollen wir auch einen staatlichen Beitrag zur Datensicherheit leisten.
Kegel: In diesem Kontext ist wichtig, auch die rechtlichen Grundlagen der Verwendung von Daten zu überprüfen. Wir müssen zügig aus der Haltung einer kompletten Prohibition herausfinden. Die Datenschutzgrundverordnung stammt geistig aus den achtziger Jahren und passt vorne und hinten nicht mehr. Nahezu alles zu verbieten, können wir uns nicht erlauben. Deshalb blicken wir positiv auf den EU Data Act, der – trotz Schwächen im Detail – zum Datenteilen motiviert.
Brantner: Als Ministerium haben wir natürlich auch ein Interesse daran, dass unser Standort wettbewerbsfähig bleibt. Vertrauen und Sicherheit sind wichtig, damit insbesondere kleine und mittlere Unternehmen mitmachen. Deshalb legen wir ein besonderes Augenmerk auf die Vertrauenswürdigkeit unserer Datenplattform „Made in Europe“. Was mir darüber hinaus wichtig ist: Wir haben explizit gesagt, dass die Entwicklung von Manufacturing-X ein Lernprozess für alle sein soll – das war bei Catena-X auch schon so. Auf unserer Seite ist die Bereitschaft groß, schnell anzufangen, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und gegebenenfalls flexibel nachzusteuern. Das ist besser, als mit der unrealistischen Einstellung reinzugehen, am Anfang alles perfekt zu wissen und für die Korrektur dieses Irrtums deutlich länger zu brauchen, als wenn wir gleich mit einem flexiblen Verständnis beginnen.