Kontinent der Chancen
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ampere 1.2024
Report
Industrial 5G hält derzeit Einzug in immer mehr Fabrikhallen. Die Funktechnik kann zu einem wichtigen Baustein für die Smart Factory werden – auch dank der ZVEI-Arbeitsgemeinschaft 5G-ACIA
Wenn in der Siemens-Produktionsstätte Manufacturing Karlsruhe (MF-K) an einem bestimmten Ort Bau- oder Geräteteile gebraucht werden, müssen „Wickie“ und seine Kollegen ran. Die kollaborativen Roboter (Cobots) unterstützen die Intralogistik im Werk, das auf „fließende Matrix-Produktion“ setzt: Jedes Produkt kann auf jedem beliebigen Modul gefertigt werden, und für jeden Auftrag wählt das Fertigungsmanagementsystem selbstständig das nächste verfügbare Modul aus. Das soll Engpässe vermeiden, den Durchsatz erhöhen und die Kundenorientierung verbessern. Allerdings stellt das Fertigungsparadigma auch hohe Anforderungen an die Flexibilität der Intralogistik.
Die dafür eingesetzten Cobots werden drahtlos auf ihre Botengänge geschickt und sind auf ein Funknetz angewiesen, das auch in einer rauen industriellen Umgebung zuverlässig arbeitet. Der Informationsaustausch mit den mobilen Robotern erfolgt darum zum Teil über ein privates 5G-Netzwerk, das Siemens in seiner Karlsruher Fabrik betreibt. Die Mobilfunktechnologie wird einerseits schon seit Jahren in öffentlichen Netzen genutzt, etwa zum Telefonieren oder für den mobilen Zugriff aufs Internet. Die noch relativ neuen, privaten 5G-Netze in der Industrie, auch „Campusnetze“ genannt, werden andererseits lokal an einem bestimmten Ort wie einer Fabrik von den Anwendern selbst betrieben – auf einer privaten 5G-Frequenz und mit einer eigenen 5G-Infrastruktur.
5G führt so zur Konvergenz der bisher getrennten Domänen Informationstechnologie (IT) und Betriebstechnologie (OT). Im industriellen Umfeld und für die Kommunikation von Maschine zu Maschine bietet das zahlreiche Vorteile: Dank geringer Latenzzeiten von wenigen Millisekunden und der hohen Zuverlässigkeit privater 5G-Netze lassen sich betriebskritische Anwendungen wie mobile Roboter, autonome Logistik und fahrerlose Transportsysteme mithilfe der Mobilfunktechnologie realisieren. Außerdem bleiben die Daten auf dem Firmengelände und damit privat.
„Kunden aus allen Branchen haben die Vorteile der industriellen 5G-Netze erkannt“, berichtet Axel Lorenz, CEO Process Automation bei Siemens und Vorsitzender des ZVEI-Fachbereichs Messtechnik und Prozessautomatisierung. „Besonders starkes Interesse gibt es derzeit in der Chemie- und Pharmaindustrie, aus dem Öl- und Gas-Sektor und in der Automobilindustrie.“ Die Anwender versprechen sich vom 5G-Einsatz vor allem optimierte Produktionsprozesse, eine höhere Zuverlässigkeit und mehr Flexibilität – schließlich lassen sich industrielle Anlagen dank drahtloser Vernetzung relativ einfach an neue Kundenanforderungen und Branchentrends anpassen.
Siemens hat mittlerweile eine komplette Produktpalette für industrielles 5G im Angebot: den „5G-Core“ für die Verwaltung des 5G-Netzwerks und des Datenverkehrs sowie das „Radio Access Network“ für das Management des Funknetzes, die Umwandlung der Daten in Funksignale und die Verteilung des 5G-Signals über mehrere dezentrale Radio Units in den Produktionshallen. „Da jedes Land selbst über die Vergabe von 5G-Frequenzen entscheidet, rollen wir unsere Produkte gerade schrittweise mit länderspezifischen Anpassungen aus“, so Lorenz. „Am Ende werden unsere Kunden aber weltweit mit den gleichen Modulen arbeiten können, die sich lediglich durch die genutzten Frequenzen unterscheiden – sofern der Zugang zu privat nutzbaren Frequenzen vorhanden ist.“
„5G ist eine Riesenchance für die Smart Factory“, sagt Klaus Bauer, Head of Research (Smart Factory Infrastructure) bei Trumpf. „Denn Kommunikation ist die Basis für die intelligente Fabrik.“ Genau das biete 5G – und sogar noch mehr: Denn künftig soll die Mobilfunktechnik außer dem Datentransport weitere Möglichkeiten bieten, zum Beispiel die Ortung auf zwei bis drei Meter genau. Auf diese Weise ließe sich quasi nebenbei ein weitverbreitetes Problem lösen: Zwischenprodukte landen in vielen Fabrikhallen bis zur Weiterverarbeitung oft für wenige Stunden oder Tage in Containern, die während dieser Zeit aus Platzgründen gelegentlich umplatziert werden. Um langwierige Suchen nach den benötigten Teilen zu vermeiden, könnten die Unternehmen ein separates Ortungssystem zum Beispiel auf Basis von UWB (Ultra Wideband) installieren. „Viel einfacher wäre es aber, in Zukunft dafür einfach die ohnehin schon vorhandene 5G-Infrastrutur zu nutzen“, sagt Bauer. „Auch dadurch bietet 5G viel Optimierungspotenzial, gerade für hochflexible Fertigungen.“
Dass 5G so gut zu den Anforderungen im industriellen Umfeld passt, ist kein Zufall. Die ZVEI-Arbeitsgemeinschaft 5G Alliance for Connected Industries and Automation (5G-ACIA) setzt sich seit 2018 für die Einführung von 5G in der industriellen Produktion ein. Dort vertreten sind Industrie-Ausrüster, Komponentenhersteller, Anwender, Netzwerkspezialisten und Telekommunikationsunternehmen. „Früher wurde die Entwicklung neuer Mobilfunktechnologien von IT-Firmen mit Blick auf private Endverbraucher vorangetrieben. Im Rahmen von 5G-ACIA konnten wir nun erstmals die Lücke zur Industrie schließen und ebenfalls Einfluss nehmen“, so Bauer, der sich als Vorstandsmitglied in der Arbeitsgemeinschaft engagiert. „Durch den Austausch vieler Stakeholder konnten wir die IT-Sicht und die OT-Sicht zum Nutzen aller Beteiligten zusammenbringen. Das ist eine große Errungenschaft.“
Und sie verspricht vielfältigen Nutzen für die Anwender. So ermöglicht die einfache Konnektivität über 5G beispielsweise den Einsatz zusätzlicher Sensorik und damit effizientere Prozesse. „Heute setzt man in der Metallverarbeitung aus Sicherheitsgründen oft noch doppelt so viele Schweißpunkte wie eigentlich nötig“, erklärt Lorenz. „Mit einer Kamera und einem per 5G erreichbaren KI-Modell ließe sich jeder Schweißpunkt in Echtzeit prüfen, und wenn er korrekt ausgeführt ist, könnte man sich die Redundanz sparen.“ Auch beim Kampf gegen den Fachkräftemangel kann er sich 5G als wichtigen Helfer vorstellen: „Es wird immer schwieriger, qualifizierte Mitarbeitende wie etwa Maschinenbediener zu finden. Wir müssen die wenigen Fachkräfte darum optimal unterstützen, zum Beispiel mit Augmented Reality und VR-Brillen. Auch dafür bietet sich der Einsatz von 5G an.“
Text Christian Buck | Illustration shutterstock.com/ Ico Maker
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.2024 am 15. April erschienen.
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