Chefsache

„Wettbewerb bei den Energiekosten muss gerechter werden“

Veraltete Heizungstechnik ist eine Hauptursache dafür, dass die Treibhausgasemissionen von Gebäuden kaum sinken. Wärmepumpen bieten einen Ausweg, konnten sich aber im Bestand bislang nicht so etablieren, wie es nötig wäre, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Ein Gespräch über die Chancen der Elektrifizierung mit Dr. Kai Schiefelbein, Technikgeschäftsführer von Stiebel Eltron.

 

Der Fußweg vom Bahnhof Holzminden zum Werk führt durch ein Wohngebiet. Die meist schmucklosen Gebäude stammen überwiegend aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Dann, jenseits der Bundesstraße, taucht plötzlich ein schwarzer Monolith auf. „Energy Campus“ nennt Stiebel Eltron den 2016 fertiggestellten Neubau, der als Tagungs- und Schulungszentrum, aber auch als Kantine für die Mitarbeiter dient. Dass die Photovoltaikanlage auf dem Dach die Wärmepumpenheizung und die Lüftungsanlage mit Strom versorgt, versteht sich für Kai Schiefelbein, den Technikgeschäftsführer des 1924 gegründeten Familienunternehmens, von selbst. Es sind eher die Feinheiten, die ihn begeistern – etwa das im Innenausbau verwendete Ulmenholz, das viel zu schade zum Verheizen wäre.

 

Herr Schiefelbein, Sie persönlich arbeiten seit 1997 an der Wärmepumpentechnik. Das war damals eine recht exotische Technik. 

Als Thermodynamiker war es für mich schon immer eine merkwürdige Vorstellung, einen Brennstoff mit einer Flammtemperatur von mehr als 1.000 Grad Celsius abzufackeln, um Raumwärme von 20 Grad herzustellen. Die Alternative hat mich früh fasziniert: Wärme aus der Umwelt zu nutzen. 

Aber ist strombasierte Wärmetechnik der einzig richtige Weg? Gas-Brennwertkessel, mit Wasserstoff betrieben, wären doch auch klimaneutral.

Wir setzen uns für die direkte Stromnutzung in Wärmepumpen ein, weil das der effizienteste Weg ist, die Energie aus erneuerbaren Quellen zu verbrauchen. Eine Wärmepumpe braucht nur einen Teil Strom, um drei bis vier Teile Wärme zu erzeugen. Würden wir Umwege über Wasserstoff oder Synthesegase gehen, kämen bestenfalls drei Viertel des Stroms als Wärmeenergie beim Kunden an. Man benötigt also für die gleiche Menge Wärme beim Umweg über grünen Wasserstoff vier- bis fünfmal so viel Ökostrom wie mit einer Wärmepumpe. Außerdem werden wir grünen Wasserstoff in großen Mengen für Flugverkehr und Gütertransport sowie in der Industrie benötigen. Volkswirtschaftlich kann es uns nicht egal sein, wie viel Grünstrom wir insgesamt einsetzen müssen. 

Es gibt mehr als 20 Millionen Gebäude. Wie schnell ginge das mit der Umstellung des kompletten Bestands?

Technisch gesehen kann eine Wärmepumpe fast jedes Gebäude versorgen. Aber auch Pelletheizungen und Fernwärme werden nicht aussterben, wobei die Fernwärme, beispielsweise mit Wärmepumpen, auch dekarbonisiert werden muss. Die meisten Studien gehen von 14 bis 16 Millionen Wärmepumpen im Jahr 2050 aus.

Im Rekordjahr 2020 wurden 120.000 Wärmepumpen neu installiert. Ginge es in diesem Tempo weiter, würden wir dieses Ziel im Jahr 2138 erreichen …

Es muss schneller gehen! Zumal Wärmeerzeuger eine Lebensdauer von rund 20 Jahren haben. Die in Deutschland vertretenen Hersteller von Wärmepumpen haben sich daher das Ziel gesetzt, rund eine halbe Million Anlagen pro Jahr ins Feld zu bringen.

Was muss passieren, damit dieser Plan gelingt?

Zunächst einmal haben wir als Hersteller unsere Hausaufgaben gemacht und Wärmepumpen entwickelt, die für Bestandsgebäude geeignet sind und mit den installierten Wärmeverteilungssystemen effizient funktionieren. Zudem gibt es mittlerweile hohe Förderungen: 35 bis 45 Prozent der Investition zahlt der Staat – und das auf die Gesamtkosten einschließlich der Umfeldmaßnahmen, wie etwa einer eventuell notwendigen Ertüchtigung der Elektroinstallation. Durch diese Förderung ist es 2020 gelungen, die Wärmepumpe für Bestandsbauten attraktiver zu machen.

 

Dann können wir uns zurücklehnen?

Nein, denn der Wettbewerb bei den Energiekosten muss gerechter werden. Der Strompreis für Wärmepumpen ist in der letzten Dekade deutlich auf mittlerweile 22 Cent pro Kilowattstunde gestiegen, der Gaspreis mit sechs Cent pro Kilowattstunde dagegen recht konstant. Der Hauptgrund sind unterschiedliche staatliche Abgaben – allein die EEG-Umlage ist beim Strom mit 6,75 Cent pro Kilowattstunde höher als der komplette Preis für eine Kilowattstunde Gas. Eigentlich sollten sich hochgradig effiziente Technologien wie die Wärmepumpe oder auch das Elektroauto im Betrieb amortisieren und deshalb keine Subventionen benötigen. Dafür müssten jedoch die Energiekosten um rund 50 Prozent günstiger ausfallen als im Moment.

Der CO2-Preis, der seit Anfang 2021 auf die Emissionen in den Bereichen Wärmeerzeugung und Verkehr erhoben wird, steigt in den kommenden Jahren von jetzt 25 auf 55 Euro pro Tonne. Das reicht nicht?

Ändert sich der Strompreis nicht, muss der Gaspreis auf circa 15 Cent pro Kilowattstunde steigen. Dafür wiederum müsste der CO2-Preis auf 110 Euro pro Tonne verdoppelt werden. Dann wäre auch keine Förderung mehr notwendig – und das ist für mich als Anhänger der Marktwirtschaft das attraktivste Szenario. Eigentlich ist es Verschwendung, dass wir eine staatlich veranlasste Verzerrung der Energiekosten wiederum durch staatliche Förderung kompensieren.

Wenn sich Wärmepumpen überall sehr schnell durchsetzen: Überfordert das nicht die Verteilnetze?

In den allermeisten Fällen nein, schon gar nicht, wenn wir parallel die Voraussetzungen für das Aufladen von Elektroautos schaffen. Sowohl die Ortsnetztrafos als auch die Verteilerkästen in den Häusern müssen für die Elektromobilität ohnehin ertüchtigt werden; da fahren wir im Windschatten. Eine Wärmepumpe im Altbau braucht eine Anschlussleistung von maximal sechs Kilowatt, während eine Wallbox bis zu 22 Kilowatt zieht. Zudem verfügen Wärmepumpen in Kombination mit einem Pufferspeicher über erhebliches Potenzial, Lasten zeitlich zu verschieben.

„Die derzeitigen CO2-Preise sind zu niedrig, um eine Lenkungswirkung zu entfalten.“

Dr. Kai Schiefelbein, Technikgeschäftsführer Stiebel Eltron

Das klingt doch alles so, als sei bei richtiger CO2-Bepreisung die Elektrifizierung des Wärmesektors gar nicht mehr aufzuhalten.

Wenn ich es in Prozentwerten ausdrücken soll: Zu 75 Prozent bin ich optimistisch, denn für die CO2-Bepreisung sind regelmäßige Review-Termine vorgesehen. Da wird sehr schnell auffallen, dass die derzeitigen CO2-Preise noch zu niedrig sind, um eine echte Lenkungswirkung zu erzielen. Wie weit man die Stellgröße – also den CO2-Preis – ändern muss, kann man auf einer DIN-A4-Seite ausrechnen.

Und die restlichen 25 Prozent, die zum vollständigen Optimismus fehlen?
Wir beobachten, dass die Gaswirtschaft um den Erhalt ihrer Netze kämpft und dabei auch durchaus populistisch argumentiert. Wenn sich die Politik auf das Narrativ vom grünen Wasserstoff und dem dafür notwendigen Netzausbau einlässt, kommt sie da nicht mehr raus. 

Ihnen fehlt also ein klares Bekenntnis der Politik, analog zum Elektroauto?
Ein Ausbauszenario für die Wärmepumpentechnik mit einem eindeutigen Ziel für das Jahr 2030 wäre durchaus hilfreich. Dann wäre der Investitionsrahmen nicht nur für mittelständische Gerätehersteller wie uns, sondern vor allem für die Fachhandwerker im Heizungs- und Sanitärbereich geschaffen. Im Handwerk geht es vor allem darum, dass mehr qualifiziertes Personal benötigt wird.

Für ein solches Szenario ist wichtig, wie umweltfreundlich die Wärmepumpe ist, wenn sie mit dem aktuellen Strommix betrieben wird.

Nehmen wir den ungünstigsten Fall: Mit einer Jahresarbeitszahl von drei – wenn also durchschnittlich drei Kilowattstunden Wärme aus einer Kilowattstunde Strom entstehen – und heutigem deutschen Strommix spart eine Wärmepumpe im Vergleich zu einem Gas-Brennwertkessel etwas mehr als 20 Prozent CO2 ein. Mit einer guten Wärmepumpe mit einer Jahresarbeitszahl von vier beträgt die Einsparung bereits 38 Prozent. Und das ist nur eine Momentaufnahme, denn der Grünstromanteil wächst jährlich.

Wir reden die ganze Zeit über den deutschen Markt. Hat Wärmepumpentechnik aus Deutschland das Zeug zum Exportschlager?

Wir verkaufen rund 60 Prozent aller Wärmepumpen im Ausland und exportieren von Deutschland aus bis nach Australien. In China, wo insgesamt rund 1,5 Millionen Wärmepumpen pro Jahr abgesetzt werden, haben wir zudem eine eigene Produktion aufgebaut. Die Wärmepumpe ist der technische Olymp der gesamten Klimatechnik, da haben wir mit deutscher Technik nach wie vor eine Chance. Aber wir müssen dranbleiben: Nirgendwo auf der Welt wurde mir bei der Installation einer Wärmepumpe so genau zugeschaut wie in China.

In vielen Weltregionen sind nicht wärmende Heizungen, sondern kühlende Klimaanlagen gefragt. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass bis zum Jahr 2050 weltweit rund 5,7 Milliarden Klimageräte in Betrieb sein könnten.

Wenn der Strom für die Klimaanlagen aus erneuerbaren Quellen kommt, ist dieses Segment relativ einfach klimaneutral zu machen. Für alle Regionen mit wechselwarmem Klima – also Südeuropa oder Nordindien beispielsweise – ist die Erdwärmepumpe eine attraktive und sehr effiziente Alternative für die Gebäudekühlung, da die Wärme hier ins Erdreich abgegeben werden kann.

Bleibt nur noch der Kunde, den Sie überreden müssen. Umfragen von Ihnen zeigen, dass etwa jeder zweite Deutsche die Wärmepumpentechnik nicht ansatzweise versteht.

Wir alle in der Heizungsbranche hatten lange den falschen Fokus, weil wir immer über die Geräte im Keller reden wollten. Die interessieren aber die Kunden eigentlich nur, wenn sie nicht funktionieren. Für den sogenannten normalen Menschen ist die Raumtemperatur interessant. Wenn die per App zu steuern ist, und zwar vorausschauend und mit minimalem Energieverbrauch, sind die meisten Menschen völlig zufrieden. Erst recht, wenn sie viel zuhause sind – und das sind wir ja alle immer noch.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Schiefelbein.

 

Text: Johannes Winterhagen | Fotografie: André Walther

 

Dieser Artikel erscheint in der Ausgabe 1+2.2021 am 3. Mai 2021



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