Zuleeg leitet seit zehn Jahren das EPC und gehört zu den bekanntesten Köpfen im Brüsseler Politikbetrieb. „Ich bin zwar kein ausgesprochener Optimist“, erklärt er, „doch es ist wichtig, dass wir ehrlich sind.“ Was Europa bisher getan habe, reiche in Zeiten der Permakrise bei Weitem nicht mehr aus. Durch die EU müsse ein Ruck gehen.
Was sollte in der nächsten Legislaturperiode reformiert werden? „Die EU muss in vielen Fragen von der Einstimmigkeitsregel abrücken.“ Um Blockaden durch einzelne Staaten in Zukunft zu verhindern, schlägt er das Modell „Mehrheit minus eins“ vor: Eine Entscheidung gilt auch dann als getroffen, wenn nur ein Mitglied dagegen stimmt. Als Alternative kann sich Zuleeg eine „Koalition der Willigen“ vorstellen: Eine Gruppe von Ländern tut sich zusammen und setzt einzelne Projekte mit einer Art Parallelhaushalt durch. Laut dem Vertrag von Lissabon sei das grundsätzlich möglich.
Ein Umdenken fordert Zuleeg auch in der Industriepolitik. „Hier nur national zu agieren, ist nicht mehr zeitgemäß.“ Der EPC-Chef weist auf ein grundsätzliches Problem hin: Die EU setzt sich viele ambitionierte Ziele, überlässt es jedoch den Mitgliedern, sie umzusetzen. Beispiel Klimaschutz: Im März 2023 hat die EU den „Net-Zero Industry Act“ veröffentlicht, der vorsieht, dass ab 2030 mindestens 40 Prozent der pro Jahr benötigten klimaneutralen Technologien in Europa produziert werden. Doch wo und mit welchen Mitteln Batteriefabriken, Wasserstoff-Elektrolyseure oder Windparks entstehen, entscheiden die nationalen Regierungen. So besteht die Gefahr, dass zu wenig und nur punktuell in grüne Technologie investiert wird. „Alle anderen Länder machen viel aktivere Industriepolitik – so wie die USA mit ihrem Inflation Reduction Act“, erklärt Zuleeg. Dem könne man nicht mit nationalem Kleinklein begegnen.