Chefsache

„Ein Bekenntnis allein reicht nicht“

Immer mehr Unternehmen setzen sich ehrgeizige Ziele hinsichtlich Klimaneutralität. Phoenix Contact, Hersteller von Verbindungs- und Automatisierungstechnik, wird bis Ende 2021 weltweit CO2-neutral sein. Ulrich Leidecker, Geschäftsführer des Familienunternehmens, erläutert, was dafür zu tun ist und warum die Politik gar nicht alles vorgeben muss.

Herr Leidecker, wie steinig ist der Weg zur Klimaneutralität für Industrieunternehmen?

Eine klimaneutrale Güterproduktion ist vergleichsweise einfach zu realisieren, wenn ausreichend erneuerbare Energie zur Verfügung steht. Wir können doch ausrechnen, wie viel Terrawatt Grünstrom wir produzieren müssen, um in Deutschland den gesamten Industriesektor klimaneutral zu stellen. Analog gilt das für industrielle Wärme. So können Luft- oder Erdwärmepumpen zum Einsatz kommen oder existierende Wärmekraftwerke auf Wasserstoffverbrennung umgestellt werden – bis hin zu Induktionsöfen für Metallschmelzen. 

Ein Teil der CO2-Neutralität wird – auch bei Ihnen –über Ausgleichsmaßnahmen hergestellt. Ist das langfristig die richtige Strategie?

Vollständige CO2-Neutralität ohne Kompensationsmaßnahmen dauert Dekaden. Das ist übrigens nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Würden wir auf einen Schlag alle Blockheizkraftwerke oder Metallschmelzen schließen und durch neue Anlagen und Maschinen ersetzen, kämen durch deren Bau erhebliche Mengen CO2 zustande, die sofort in die Atmosphäre gelangen. Übereiltes Verschrotten von funktionstüchtigen Anlagen löst das Problem nicht. 

Bei der Gewinnung der Rohstoffe, die Sie in Ihren Produkten verwenden, Stahl oder Kupfer etwa, entstehen zum Teil prozessbedingte Emissionen.

Jedes Unternehmen sollte zunächst mal das im Blick haben, was es direkt beeinflussen kann – wir sprechen dabei von „Scope 1“, also dem „Footprint“ unseres Unternehmens. Damit würde sich schon viel lösen lassen, zumal elektrifizierte Prozesse in der Regel deutlich effizienter sind und sich dadurch der zusätzliche Grünstrombedarf senken lässt. Aber natürlich kümmern wir uns auch um den „Scope 2“, also die Emissionen, die in der Lieferkette entstehen. Aber das ist an vielen Stellen gar nicht so einfach. Beispielsweise sind alle Kontingente für grünen Stahl oder grünes Kupfer auf absehbare Zeit ausverkauft. Die Nachfrage ist enorm.

Hinzu kommt: Grauer Stahl aus Übersee wird immer billiger sein als grüner Stahl aus Europa.

Es ist die Aufgabe der Politik, hier für einen Ausgleich zu sorgen. Es ist wenig sinnvoll, wenn wir klimaneutral werden, aber nur noch innerhalb von Europa wettbewerbsfähig sind. Das darf nicht passieren.

 

Importzölle für nicht klimaneutrale Produkte wären also für den Mittelstand akzeptabel?

Ich befürchte, dass wir dahin kommen müssen, falls internationale Übereinkommen allzu lange auf sich warten lassen. Allerdings bin ich hoffnungsvoll, dass viele Industrieländer den Klimaschutz auch als Chance begreifen. Ein Beispiel: Als wir im letzten Jahr ankündigten, bis Ende 2021 klimaneutral zu werden, hatten wir gewisse Befürchtungen hinsichtlich der Reaktion etwa unserer US-Kollegen. Doch die haben als erstes einen Investitionsantrag auf eine neue Photovoltaik-Anlage gestellt.

Immer mehr Unternehmen verlangen von Ihren Lieferunternehmen einen exakten CO2-Nachweis. Können Sie den schon ausstellen?

Wo wir standardisierte Datenbanken verwenden können, ist das möglich, aber wir haben noch ein paar weiße Flecken, insbesondere bei kleineren Lieferanten. Wir gehen aber davon aus, dass wir im ersten Quartal 2022 bereits mehr als 95 Prozent unserer Wertschöpfungskette sauber abbilden können. Und das obwohl die Komplexität nicht unerheblich ist, da wir nahezu 100.000 verschiedene Produkte im Portfolio haben.

Der ZVEI hat ebenfalls ein Projekt zum CO2-Ausweis gestartet, an dem Sie mitwirken. Was passiert da?

Es geht in erster Linie darum, eine standardisierte Methodik für die gesamte Branche zu etablieren. Das ist nicht trivial, wie sich am Beispiel einer Maschinenschraube zeigen lässt. Es ist schnell zu errechnen, wieviel Stahl in so einer Schraube ist und wie viel Energie für die Produktion verwendet wird. Aber wenn die Schraube von weit her importiert wird, dominieren gegebenenfalls die Emissionen aus dem Transport.

Welche Bedeutung hat die Logistik insgesamt?

Gerade bei hochwertigen Elektroprodukten, die in kleinen Chargen ausgeliefert werden, spielt die Verpackung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Verpackungen so klein wie möglich zu halten und – wo überhaupt notwendig – umweltfreundliches Füllmaterial einzusetzen, ist unsere Aufgabe als Unternehmen. Was man aber nicht unterschätzen darf, ist der Aufwand, den wir aufgrund gesetzlicher Vorgaben treiben. So müssen wir zum Beispiel sehr kleine, eigentlich aber robuste Elektronikprodukte verpacken, weil die Zertifizierungsangaben nicht mehr auf das Produkt passen. Und um den Anforderungen an die Dokumentation, etwa für Warnhinweise, gerecht zu werden, bedrucken wir viele Tonnen Papier. Unsere Kunden ärgert das teilweise sehr, denn was soll ein Industriemechatroniker mit dem Hinweis anfangen, dass die Montage nur durch Fachpersonal erfolgen darf? Deshalb wäre es an der Zeit, alle Pflichtangaben über einen QR-Code auf dem Produkt zu hinterlegen.

 

„Wenn wir allen Menschen Wohlstand zusprechen, werden in Zukunft mehr Güter produziert.“

Ulrich Leidecker, Geschäftsführer Phoenix Contact

Weniger zu verpacken ist sicher gut für den Klimaschutz. Weniger zu produzieren wäre noch besser – oder?

Noch immer haben viel zu wenig Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser oder zu Elektrizität. Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, an denen wir uns orientieren, umfassen zudem das Recht auf medizinische Versorgung, Bildung und vieles mehr. Wenn wir allen Menschen einen gewissen Wohlstand zusprechen, dann werden in Zukunft mehr und nicht weniger Güter produziert. Es muss nur besser gemacht werden als in der Vergangenheit.

Welche Rolle spielt dabei die Automatisierungstechnik?

Ich bin selbst immer wieder überrascht, wie groß die Effizienzgewinne selbst in modernen Fabriken sind, wenn Digitalisierung konsequent umgesetzt wird. Ein Beispiel aus unserem Werk in Bad Pyrmont: Wir haben die komplette existierende Fertigung nachträglich digitalisiert und die Messdaten von spezialisierten Datentechnikern analysieren lassen. Losgelöst von den eigentlichen physikalischen Prozessen haben die allein über die Korrelation von Daten Änderungen vorgeschlagen. Dadurch konnten wir bis zu 30 Prozent Effizienz gewinnen. Zum Beispiel haben wir an den Linien für die Bestückung von Leiterplatten das Rüstkonzept verändert und können dadurch die Auslastung der Maschinen deutlich steigern. Das erspart uns, bei gestiegener Nachfrage zusätzliche Maschinen anzuschaffen und senkt so nicht nur die Kosten, sondern auch die Umweltbelastung, die ansonsten durch den Bau dieser Maschinen entstanden wäre. 

Das freilich funktioniert nur, wo der Automatisierungsgrad schon sehr hoch ist. Was kann an weniger entwickelten Standorten getan werden?

Konsequent zu automatisieren, so wie wir es in Deutschland getan haben, ist überall auf der Welt ein Weg zu höherer Effizienz. Und wir sollten dabei die Antriebstechnik nicht vergessen: Energieeffiziente, geregelte Antriebe bringen gewaltige Energieeinsparungen von bis zu 40 Prozent. Besser als auf Industrialisierung zu verzichten, ist es, den Ressourceneinsatz zu vermindern.

Welche Rolle spielt Ihre Nachhaltigkeitsstrategie dabei, Nachwuchstalente für Ihr Unternehmen zu gewinnen?

Fachkräfte wollen immer häufiger für ein Unternehmen arbeiten, dem die Umwelt nicht egal ist. Wir spüren aber auch, dass unsere Nachhaltigkeitsstrategie das eigene Management sehr motiviert. Ein Bekenntnis allein reicht nicht, man muss auch Maßnahmen implementieren. Deshalb haben wir für die Umsetzung unserer Strategie einer „All Electric Society“ nicht eine separate Abteilung geschaffen, sondern die Führungskräfte verantwortlich gemacht, die auch für die Wirtschaftlichkeit geradestehen müssen.

Nun gibt es ja nicht ausschließlich Unternehmer, die sich aktiv für den Klimaschutz engagieren. Was sollte die Politik tun, um den Klimaschutz im gesamten Industriesektor zu verbessern?

Meinem Eindruck nach haben die meisten Industrieunternehmen bereits verstanden, dass sie gut beraten sind, sich aktiv um Klimaschutzmaßnahmen zu bemühen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben 
wollen. Darüber hinaus braucht es eigentlich nur eine CO2-Bepreisung. Ansonsten würde ich davon abraten, allzu viel im Detail zu regulieren.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Leidecker.

 

Text: Johannes Winterhagen | Fotografie: Nathalie Bothur

 

Dieser Artikel erscheint in der Ausgabe 4.2021 am 6. Dezember 2021.


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