A.D.

„Ich habe alles geregelt“

Vor einem halben Jahrhundert erwarb Wolfgang Reichelt das Unternehmen BLOCK Transformatoren-Elektronik und baute es zu einem global aktiven Akteur aus. Der mittlerweile 81-jährige Gesellschafter scheidet nun nach langen Jahren engagierter Mitarbeit aus dem ZVEI-Vorstand aus – und redet doch lieber über die Zukunft als über die Vergangenheit.

Herr Reichelt, Sie haben bereits die Anfänge der Globalisierung miterlebt. Im Zuge von Covid-19 haben wir gespürt, wie brüchig internationale Lieferketten sein können.
Da bricht überhaupt nichts auseinander. Typische Mittelständler wie wir sind in allen Märkten zu Hause. Wir sind gerade dabei, unsere Produktionsfläche in China zu verdreifachen, auch weil dort ansässige deutsche Unternehmen in China produzierte Produkte nachfragen. Parallel entwickeln wir mit chinesischen Firmen zusammen Produkte, die sie für uns fertigen. Und das Gleiche gilt für die USA. Hochtechnisierte Produkte hingegen werden hier bei uns in Deutschland hergestellt, wo auch das Entwicklungszentrum ist. 

Sie haben sich Ihr Leben lang in der Normenarbeit engagiert. Wie wichtig ist Ihnen das Thema heute?
Der internationale Warenverkehr braucht anerkannte Zulassungen, Normen und Richtlinien. So tragen mehr oder weniger all unsere Produkte das amerikanische Prüfzeichen, das für den dortigen, aber auch für den chinesischen Markt wichtig ist. Wir arbeiten eng mit den entsprechenden Prüfstellen zusammen. Gleichzeitig engagiere ich mich selbst auf europäischer Ebene und entwickele die Normen mit – das mache ich übrigens meistens nachts, weil ich da die Zeit habe, die vielen Seiten zu lesen. 

Ist es schwierig, sich in Europa auf gemeinsame Normen zu einigen? 
In der Vergangenheit war das ein gemeinsamer Abstimmungsprozess. Und am Ende waren die internationalen IEC-Normen, die europäischen Normen und die nationalen Normen absolut deckungsgleich. Heute ist der Prozess viel komplizierter geworden, weil die Europäische Kommission die Normen von sogenannten Consultants nochmal überprüfen lässt – und dadurch verzögert sich alles und die deutsche und die europäische Norm kommen erst viel später in Umlauf. Das ist ein Problem für die europäische Wirtschaft, weil die Konkurrenz eben nicht schläft. 
 

 

Sie engagieren sich seit Jahrzehnten für den ZVEI. Was haben Sie denn davon?
Als Hightech-Unternehmen müssen wir genau wissen, wohin sich die Märkte entwickeln, deswegen hat das Engagement im ZVEI eine große Bedeutung für uns. Der Fachverband Bauelemente bringt zum Beispiel Roadmaps heraus, die die künftige Entwicklung der Märkte beschreiben. Das hilft uns dabei zu definieren, welche Produkte wir in zehn Jahren herstellen wollen. Das ist entscheidend für Investitionen: Unsere Maschinen sind teuer, wir schreiben sie bis zu 14 Jahre ab. Und da muss ich wissen, wie lang ich diese Maschine einsetzen kann.

Kann man denn überhaupt treffsicher in die Zukunft sehen?
Ich habe einmal im Jahr 2009 mit dem Chef eines renommierten Wirtschaftsforschungsinstitut zu Abend gegessen und ihm drei Fragen gestellt: Können Sie in die Zukunft schauen? Seine Antwort: Nein. Wiederholt sich die Vergangenheit? Nein. Und dann: Wann haben wir den Tiefpunkt der Rezession erreicht? Und da antwortete er mir: Das wissen Sie viel besser als ich. Und er hat Recht. Ich habe 39 Vertretungen weltweit, vier Werke, eines in Amerika, eines in China und zwei hier in Deutschland. Und wenn irgendetwas im Weltmarkt passiert – zum Beispiel, wenn Frankreich neue Züge kauft oder in Italien Hochhäuser geplant werden, für die man Aufzüge braucht –, dann merken wir das sofort. Wir sind mit unseren Produkten ja überall dabei.

Als Ihr Arbeitsleben begann, gab es noch kein Farbfernsehen, heute reden wir von Künstlicher Intelligenz, 5G und dem Internet der Dinge. Wie bleiben Sie selbst auf dem neuesten Stand? 
Ich lerne jeden Tag etwas dazu, indem ich viel lese und eben auch in engem Austausch mit Menschen auf der ganzen Welt bin. Außerdem haben wir hier bei Block eine sehr gute Forschungsabteilung, die neue Entwicklungen ständig beobachtet. Siliziumkarbid-Leistungshalbleiter zum Beispiel haben eine große Zukunft vor sich, ganz andere Produkte können so entstehen. Ein weiteres Beispiel: Wir können unseren Kunden mittlerweile einen digitalen Zwilling zur Verfügung stellen, da arbeiten wir schon lange dran. 

Also entwickelt sich auch Ihre Arbeit immer stärker Richtung IT? 
Wir geben irre viel Geld für den IT-Bereich aus. Wir sind nun auch ein Software-Unternehmen, das muss man so sagen. Unsere Produkte konzipieren wir für die intelligente Stromversorgung oder für elektronische Sicherungen. Innerhalb des Unternehmens machen wir das ebenso: Unsere Maschinen in Deutschland oder in den USA sind alle verknüpft, damit unsere Produkte weltweit die gleiche Qualität haben. 
 

 

Und wie halten Sie das Know-how in Ihrem Unternehmen auf Stand? 
Bei Block haben wir immer 60 Lehrlinge und fünf bis sieben duale Studenten, die alle mit dem neuesten Wissen ausgestattet sind. Außerdem arbeiten wir sehr eng mit zehn Lehrstühlen an verschiedenen Hochschulen zusammen, die mit ihren Studenten auch Aufgaben von uns übernehmen. So kommen wir natürlich auch an gute Nachwuchskräfte. 

Bekommen Sie nicht ständig Übernahmeangebote? 
Ja, was meinen Sie, was man mir hier geboten hat? Aber das war nie ein Thema für mich. Ich habe alles geregelt. Die Firma wird nach meinem Tod in eine Stiftung übergehen. Und es wird niemand Geld hier herausziehen. Meine Kinder sind ausgezahlt, meine Frau trägt das mit. Wir haben genug Geld und solange ich lebe, werde ich auch hier angestellt bleiben. 

Die Stiftung hat den Zweck, die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zu unterstützen. Wie kommen Sie ausgerechnet darauf? 
Wir sind da schon lange engagiert. Das kommt wohl aus meiner Familiengeschichte. Mein Bruder war Kapitän, mein Onkel war Chefingenieur auf einem Schiff und mein Vater war bei der Wasserschutzpolizei. Ich finde das aber auch deswegen wichtig, weil ich immer schon Menschen unterstützen wollte, die es nicht so leicht haben. Ich war 30 Jahre lang im Vorstand der Lebenshilfe und wir haben zum Beispiel für Menschen mit Behinderungen ein Wohnhaus gebaut. 

Was gibt Ihnen den Antrieb dafür? 
Das hängt mit meinem christlichen Glauben zusammen. Der liebe Gott hat mir das Leben geschenkt und mir Fähigkeiten gegeben, mich entsprechend meiner Möglichkeiten einzusetzen, besonders auch für die Schwächeren in der Gesellschaft. Und diese Fähigkeiten will ich nicht vergeuden.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Reichelt.

 

Text: Marc-Stefan Andres | Fotografie: Matthias Haslauer

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.2021 am 6. Dezember 2021 erschienen.



Erschienen in der Ausgabe 4.2021

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