Unsere These:

Nachhaltige Gebäude brauchen Elektrifizierung und Digitalisierung.

Die Argumente

1. Elektrifizierung auf Basis erneuerbarer Energie macht unabhängig von den steigenden Kosten fossiler Energieträger. 

2. Das volle Potenzial der Gebäudesanierung ist nur durch Digitalisierung zu erschließen. 

3. Smarte Gebäude erhöhen die Lebensqualität ihrer Bewohner signifikant …  

4. … und tragen gleichzeitig zur Energieeffizienz ihres Quartiers bei.  

5. Energiewende, Mobilitätswende und der Sektor Gebäude müssen zusammengedacht werden. 

 

Briefing

Zeit für den Aufbruch

Mit digitaler und elektrischer Technik kann die Energiewende im Gebäude gelingen. Was also hindert uns daran?

Wenn zwei sich auf den Weg machen und sich der eine schnell bewegt, der andere langsam folgt, dann steigt der Abstand zwischen beiden. Genau das trifft auf die Energiewende zu: 2011 hatte die Energiewirtschaft einen Anteil von rund 44 Prozent an den kompletten CO2-Emissionen Deutschlands. Doch das Umsteuern der vergangenen Jahre zeigt Wirkung. Der Sektor konnte im Zehn-Jahres-Intervall bis 2021 die ihm zugerechneten Emissionen von 353 auf 238 Millionen Tonnen verringern und ist nun nur noch für 35 Prozent der Gesamtbelastung verantwortlich. Der Gebäudesektor konnte im gleichen Zeitraum die Emissionsmenge nur um acht Millionen Tonnen senken und verantwortet nun 17 Prozent der gesamtem CO2-Emission. Das Problem ist in der Politik erkannt, doch das Umsteuern fällt aus mehreren Gründen nicht leicht. 

Der erste Grund liegt darin, dass nicht die Neubauten, sondern die Bestandsgebäude darüber bestimmen, wie viel Energie in Gebäuden benötigt wird. Anders als in anderen Bereichen kann die Politik nicht allein auf Vorschriften setzen, sondern muss ein Anreizsystem für freiwillige Sanierungen aufbauen. Theoretisch macht sich der Erfolg eines solchen Anreizsystems daran fest, wie hoch die Sanierungsquote ausfällt – aktuell beträgt diese rund 1,1 Prozent, wenn man alle Gebäudetypen einbezieht. Sie müsste in etwa verdoppelt werden, wenn die Klimaziele im Gebäudesektor erreicht werden sollen. Doch Sebastian Treptow, Bereichsleiter Gebäude im ZVEI, warnt vor allzu einfachen Rechnungen: „Die Sanierungsrate sollte differenzierter nach den Technologien dargestellt werden. So werden Heizung und Beleuchtung beispielsweise meist erst nach 20 Jahren ausgetauscht.“ Er stellt infrage, ob man ein Gebäude, in dem vor zehn Jahren nur eine Gasheizung eingebaut wurde, als saniert betrachten darf. 

Hinzu kommt: Niemand weiß sicher, wie es um den Zustand der Gebäude in Deutschland wirklich steht. Eine vor einigen Jahren durchgeführte Umfrage des ZVEI deutet zwar darauf hin, dass eine moderne Elektroinstallation, wie sie für den Betrieb einer Wärmepumpe oder das Laden eines Elektroautos notwendig ist, in der Mehrzahl aller Altbauten fehlt. Doch eine zentrale Datenbank ist bislang nicht vorhanden. Die in Studien auch renommierter Institutionen wie der Deutschen Energieagentur verwendeten Zahlen zum Sanierungstand sind durchweg Schätzungen. „Bundesregierung und Europäische Kommission sollten ihre Planungen zu einem zentralen Gebäuderegister rasch vorantreiben“, ermuntert Sebastian Treptow. 

Dass die Sanierungsraten nicht auf dem Zielpfad sind, hat aber auch einen weiteren wesentlichen Grund: Sowohl das Bauen als auch das Wohnen sind heute bereits wesentlich teurer als noch vor einem Jahrzehnt. Dem Informationszentrum Deutscher Architektenkammern zufolge lagen die Kosten für den Neubau im Februar 2022 um 38 Prozent über denen des Jahres 2015. Hinzu kommen die stark gestiegenen Energiekosten, die Eigenheimbesitzerinnen und -besitzer genauso treffen wie Mieterinnen und Mieter. „Eine einfache Lösung für die Entkopplung von Einkommen, Immobilienpreisen und Mieten gibt es nicht“, sagt Treptow. „Doch Technologien, die Energieeffizienz fördern und uns von fossilen Energieträgern unabhängiger machen, sind über den Lebenszyklus gerechnet schon heute oft die günstigeren.“ Anreizsysteme, die dazu beitragen, Investitionshürden zu nehmen, seien im Verbund mit Ordnungsrecht deshalb der richtige Weg, um den nötigen Beitrag des Gebäudesektors zur CO2-Reduktion zu beschleunigen. 

Fakt

Jedes siebte Gebäude in Deutschland ist älter als 100 Jahre. In den Innenstädten romantischer Tourismusmagneten wie Heidelberg reicht die Quote an 100 Prozent heran. Die Energiewende muss auch in diesen Gebäuden funktionieren. 

 

Text: Johannes Winterhagen  | Illustration: creativemarket.com/Sentavio, Barbara Geising

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.2022 am 12. August 2022 erschienen.



Erschienen in der Ausgabe 3.2022

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Der große Umbau

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„Gebäude zu Energieproduzenten machen“

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Strombeschleunigung

In der niederländischen Gemeinde Heerhugoward wurde zum ersten Mal das „Energiesprong“-Konzept einer seriellen und standardisierten Altbausanierung umgesetzt. Mittlerweile findet es auch in Deutschland immer mehr Freunde und könnte die Energiewende im Gebäude deutlich beschleunigen.

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Mit dem Magazin der Elektro- und Digitalindustrie ampere, das zwei Mal im Jahr erscheint, schaut der Verband über den Tellerrand der Branche hinaus.

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