Gewaltenteilung

Regt den Kreislauf an

Die EU-Kommission überarbeitet die Ökodesign-Richtlinie, um die Nachhaltigkeit der in Europa verkauften Produkte zu stärken. Was muss Politik regulieren und was kann dem Markt überlassen werden? Und welche Folgen hat das für Produzenten und Konsumenten? Zwei Standpunkte aus Brüssel und Berlin.

Weg von der Wegwerf-Gesellschaft

Die Welt hat sich binnen weniger Jahre massiv gewandelt, vor allem durch die Covid-19-Pandemie und durch Russlands ungerechtfertigten Krieg gegen die Ukraine. Beides zeigt uns, dass wir in Europa unsere übermäßige Abhängigkeit von Rohstoffen, fossilen Brennstoffen und externen Zulieferern dringend verringern müssen. Im März dieses Jahres hat die Europäische Kommission darum vorgeschlagen, dass nachhaltige Produkte zur Norm auf dem europäischen Markt werden sollen. 

Dem Ökodesign kommt hier eine wichtige Rolle zu, weil die Art und Weise, wie wir Produkte gestalten, einen großen Einfluss auf den Ressourcen- und Energieverbrauch hat. Das ist auch an den Auswirkungen der ersten Ökodesign-Richtlinie aus dem Jahr 2009 abzulesen, die dafür sorgte, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU allein im Jahr 2021 schon 120 Mrd. Euro Energiekosten gespart haben. Jetzt wollen wir den Geltungsbereich der Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte erweitern, um eine möglichst breite Produktpalette abzudecken. Besonderen Handlungsbedarf sehen wir bei Unterhaltungselektronik und Textilien, aber auch bei Vorprodukten aus Eisen, Stahl und Aluminium.

Die Elektro- und Digitalindustrie ist besonders gefragt.

Frans Timmermans

Vizepräsident der Europäischen Kommission

Perspektivisch müssen alle unsere Produkte langlebig, zuverlässig, wiederverwendbar und reparierbar sein. So sollten Smartphones oder Tablets nicht ihre Funktionsfähigkeit verlieren, nur weil der Akku nicht mehr funktioniert. Alle Produkte sollten weitestgehend aus recycelten Materialien hergestellt werden, keine gefährlichen Stoffe enthalten und leicht zu recyceln sein. Ganz konkret fordern wir die Unternehmen auch auf, transparent in Bezug auf die Vernichtung unverkaufter Waren zu sein, weil wir dieser Praxis ein Ende setzen wollen. Wir werden außerdem verpflichtende digitale Produktpässe einführen, die über die Nachhaltigkeit eines Produkts informieren.

Diese Vorschläge werden die Art und Weise, wie wir produzieren und konsumieren, stark verändern – in der EU, aber durch die global agierenden europäischen Unternehmen auch weltweit. Deswegen ist hier die Elektro- und Digitalindustrie besonders gefragt. Im Schulterschluss mit den Unternehmen und den Verbraucherinnen und Verbrauchern können wir gemeinsam einen Transformationsprozess in Gang setzen, weg von der „Wegwerf-Gesellschaft“ und hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft in einem resilienten Wirtschaftsstandort Europa. Dafür fördern wir die Langlebigkeit von Produkten und die Kreislaufwirtschaft. Das ist gut fürs Klima und die Umwelt, gut für unsere Verbraucherinnen und Verbraucher – und gut für die europäischen Unternehmen. 

Letztlich entscheidet der Verbraucher

Klug gemacht kann die EU-Initiative, mit der nachhaltige Produkte zur Norm werden sollen, einen wichtigen Beitrag zum Ziel der Klimaneutralität leisten. Wenn 90 Prozent des Verlusts an biologischer Vielfalt durch Gewinnung und Verarbeitung von Primärrohstoffen verursacht werden, wenn 80 Prozent der Umweltauswirkungen im gesamten Lebenszyklus eines Produkts durch das Design bestimmt werden – von beidem geht die EU-Kommission aus –, dann verdeutlicht das den Handlungsdruck. Die bessere Reparierbarkeit von Produkten und die Verbesserung der Wiedernutzung von Rohstoffen bietet zudem enorme wirtschaftliche Chancen. Bei Vorgaben zur nachhaltigen Produktgestaltung bewegen wir uns also an einer zentralen Schnittstelle von Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutz. Und der Verbraucherschutz ist ebenfalls zentral betroffen. Denn niemals sollte aus dem Blick geraten, dass letztlich der Verbraucher mit seinem Kauf über den Erfolg eines Angebots entscheidet. Welche Vorgaben muss also die Politik machen?

Erstens: Mehr Nachhaltigkeit bei der Produktgestaltung lässt sich nur in einem dynamischen und lernenden Prozess erreichen. Es ist richtig, die Vorgaben auf weitere Produktkategorien auszuweiten. Welche dafür geeignet sind, muss zusammen mit der Wirtschaft ermittelt werden. „Fast-Fashion“ beispielsweise ist bestimmt weder kreislauffähig noch nachhaltig.

Zweitens: Mehr Nachhaltigkeit verlangt ganzheitliche Betrachtung. Dazu gehören natürlich auch Langlebigkeit, Gebrauchseigenschaften und Funktionalität. Hier muss eine vernünftige Abwägung erfolgen. In diese Diskussionen müssen die Hersteller eingebunden werden.

Deutschland auf dem Weg zu einer sich auf dem Markt tragenden Kreislaufwirtschaft stark machen.

Steffen Bilger

Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

Drittens: Es schadet Umwelt, Wirtschaft und Arbeitsplätzen, wenn EU-Vorgaben dafür sorgen, dass die Produktion an Standorte ohne oder mit niedrigeren Standards abwandert. Die Freude über ein europäisches „level playing field“ darf dieses Risiko nicht aus dem Blick verlieren. Umso wichtiger sind deshalb klare Produktkennzeichnungen und Informationen für Verbaucherinnen und Verbraucher. Jeder Konsumierende soll durch seine bewusste Kaufentscheidung einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können.

Viertens: Die Initiative ist ohne Kosteneffizienz zum Scheitern verurteilt. In Zeiten der Rekordinflation verbieten sich staatlich getriebene Preissteigerungen. Nichts würde die Akzeptanz für den Einsatz von rezyklierten Rohstoffen mehr untergraben. 

Die Bundesregierung muss sich für Regeln starkmachen, die Deutschland auf dem Weg zu einer starken und sich auf dem Markt tragenden Kreislaufwirtschaft entscheidend voranbringen. Für ein rohstoffarmes Land ist dies ein entscheidendes ökonomisches Zukunftsfeld. Mich erstaunt übrigens, dass nach dem Neuzuschnitt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz keines der 202 Fachreferate dieses Thema von überragender Bedeutung im Namen trägt.

Fundamentale Transformation

Die EU-Kommission will die Ökodesign-Richtlinie von 2009 durch eine neue Verordnung ablösen. Christine Betz, Chief Sustainability Officer beim Hausgerätehersteller BSH, erklärt, welche Chancen und Herausforderungen die Neuregelung mit sich bringt.

Frau Betz, in Kürze soll eine neue Ökodesign-Verordnung verabschiedet werden. Reichen die alten Regelungen nicht mehr aus? 

Betz: Aus der Perspektive der Hausgeräte-Branche ist die alte Richtlinie ausreichend. Den Schritt in Richtung mehr Nachhaltigkeit auch für andere Produktgruppen finde ich aber absolut richtig und konsequent. Ich habe nur ein bisschen Sorge, dass das Thema verwässert. Es gibt in unterschiedlichen Branchen ganz verschiedene Regulierungen: Vergleichen Sie zum Beispiel die Konformitätserklärungen in der Hausgeräte- mit denen in der Autobranche. Das ist hochkomplex und wird bei einem einheitlichen Rechtsrahmen für alle Produkte noch komplexer. 

Was bedeutet die Verordnung für BSH? Wie bereit sind Sie schon, die Punkte umzusetzen?

Betz: Wir gehen momentan unser gesamtes Portfolio durch, das wird auch noch dauern. Denn wir müssen Entscheidungen auch für Produkte treffen, die wir in zehn, 15 Jahren verkaufen wollen und die dann teilweise 30 Jahre genutzt werden. Das ist eine echte Herausforderung für alle Unternehmen. Wesentlich sind aber auf jeden Fall Themen wie Haltbarkeit, Reparierbarkeit und Wiederverwendbarkeit. 

Gibt es dabei auch Zielkonflikte? 

Betz: Mir ist die Verhältnismäßigkeit sehr wichtig: Die Nachhaltigkeitsanforderungen dürfen zum Beispiel auf keinen Fall zulasten der Sicherheit oder Funktionalität gehen. Wir unterscheiden zwischen Bauteilen, die theoretisch auch der Kunde austauschen kann, und sicherheitsrelevanten Ersatzteilen, die nur in autorisierten, professionellen Werkstätten eingebaut werden dürfen. Dabei müssen wir sehr darauf achten, was machbar ist und was sinnvoll. 

Wie schätzen Sie die Möglichkeit ein, die Einhaltung der Regeln zu überwachen? 

Betz: Für eine effektive Marktaufsicht muss man sich im ersten Schritt auf einheitliche Standards einigen. Die Konsumierenden brauchen eine transparente, vergleichbare Datenbasis, die ihnen bei ihrer Kaufentscheidung hilft. 

Sie sprechen über Vernetzung und Transparenz, wie beurteilen Sie in dieser Hinsicht den Prozess zur Ökodesign-Verordnung?

Betz: Bislang war es ein sehr guter Prozess, im Sinne der direkten Mitwirkung der Unternehmen oder über die Verbände. Ich würde mir von der Politik wünschen, dass sie mit uns noch agiler zusammenarbeitet, lieber kleinere Pakete schnürt und diese schneller in die Umsetzung bringt. Für die Zukunft bin ich allerdings etwas skeptisch. Die EU will die Verbände nur noch über Konsultationsverfahren einbinden. Das halte ich für schwierig. 

Die EU ist ein komplexes Gebilde. Wie sehen Sie die Mitgliedsstaaten im Vergleich, wenn es um die Umsetzung der Verordnung geht? 

Betz: Jede Initiative, die in Richtung Nachhaltigkeit wirkt, ist gut. Nüchtern betrachtet ist die Situation in Europa aber sehr fragmentiert. Schauen Sie sich an, was mit den Produkten am Ende des Lebenszyklus passiert – das ist für die Kreislaufwirtschaft entscheidend. In Frankreich oder Belgien ist die Abfallwirtschaft anders reguliert als etwa in Deutschland. 

Sie sprechen sich also auch hier für mehr Harmonisierung im europäischen Binnenmarkt aus? 

Betz: Ich sehe aktuell die Gefahr, dass wir den gemeinsamen Blick verlieren und eher nationale Interessen vertreten werden. Und das halte ich für ein Risiko. Ich würde mir wünschen, dass die Europäische Union wieder diesen gemeinsamen Gedanken entdeckt und auch die Bundesregierung sich dafür starkmacht. Nationale Alleingänge führen meistens zu einem Nachteil im internationalen Wettbewerb, etwa mit Asien oder den USA.

Führen die neuen Regeln eher zu Wettbewerbsvor- oder -nachteilen?

Betz: Sie werden zu einem Wettbewerbsvorteil, wenn wir konsequent in Richtung Kreislaufwirtschaft gehen. Wir schaffen damit einen wesentlichen Beitrag für die Resilienz unserer Wirtschaft. Heute sind wir oft von einem einzigen asiatischen Lieferanten abhängig, von Kostensteigerungen, der Verfügbarkeit von Rohstoffen. Deswegen liegt es auf der Hand, die Ressourcen, die schon innerhalb unserer Wirtschaftsgrenzen vorhanden sind, dort auch wieder zu nutzen. Die Kreislaufwirtschaft bedeutet allerdings auch eine fundamentale Transformation von Unternehmen und wird uns über Dekaden beschäftigen. 

Der ZVEI befürwortet die von der Europäischen Kommission geplante Erweiterung der Ökodesign-Verordnung, sieht aber noch Änderungsbedarf. Die Stellungnahme im Detail finden Sie hier.

 

Fotos von oben nach unten: European Union 2019 | Steffen Bilger, Fotograf: Andreas Essig | BSA/ Carolin Jacklin

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.2022 am 12. August 2022 erschienen.



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