„Ganzheitlich in Datenräumen denken“
Markus Asch, CEO von Rittal, erwartet in den kommenden Jahren einen deutlichen Schub bei der Digitalisierung. Rittal setzt auf Digitale Zwillinge und maximale Datentransparenz.
ampere 2.2023
Report
Die Bahn ist das klimafreundlichste Transportmittel. Darum soll der Verkehr auf der Schiene bis 2030 massiv zunehmen. Voraussetzung dafür ist eine umfassende Digitalisierung.
Die Ziele sind ambitioniert: Der Anteil der Bahn am Güterverkehr soll bis 2030 von heute 19 Prozent auf 25 Prozent zunehmen und die Verkehrsleistung im Personenverkehr auf das Doppelte steigen – so haben es die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, um den CO2-Ausstoß des Transportsektors zu verringern. Hier kann die Bahn tatsächlich punkten: Vier von fünf Zügen fahren elektrisch, und ein Drittel des Stroms stammt aus erneuerbaren Energien, so der europäische Bahnverband CER.
Bahnbetreiber halten die geplanten Zuwächse aber nur dann für erreichbar, wenn Fahrzeuge und Schieneninfrastruktur umfassend digitalisiert werden. Dabei stehen drei Technologien im Mittelpunkt: Das European Train Control System (ETCS), das Future Railway Mobile Communication System (FRMCS) sowie die digitale automatische Kupplung (DAK).
Bei ETCS Level 1 kommuniziert ein Empfänger im Triebwagen mit im Gleisbett verlegten Informationspunkten (Balisen). Sie teilen dem Fahrzeug beispielsweise die maximal mögliche Geschwindigkeit mit. ETCS Level 2 nutzt das Bahn-Mobilfunksystem GSM-R (GSM-Railway), um Fahrbefehle in den Führerstand zu übertragen. Umgekehrt sendet der Zug ständig Daten über seine genaue Position und Richtung an die Leitstelle. In der künftigen Endausbaustufe von ETCS (Level 3) berechnet ein Kontrollzentrum ständig die kleinstmöglichen Zugabstände, sodass die Strecke nicht mehr in Blöcke fester Länge unterteilt werden muss. Dadurch können laut Deutscher Bahn bis zu ein Fünftel mehr Fahrzeuge die vorhandene Infrastruktur nutzen.
Weiterer Vorteil: Neubaustrecken sollen schneller und günstiger errichtet werden. „Statt Signaltechnik an der Strecke zu bauen, wird diese Infrastrukturkomponente bei ETCS in die Fahrzeuge verlegt“, erklärt Frank Schleier, Leiter der Produktplattform Lokomotiven bei Alstom und Vorsitzender des ZVEI-Fachverbands Elektrobahnen und -fahrzeuge. Zudem sollen mit ETCS ausgestattete Züge in Zukunft grenzüberschreitend verkehren können, ohne für jedes Land eine eigene Steuerungstechnik zu benötigen. Dadurch würden an der Grenze Wartezeiten für die Umstellung von einem nationalen Zugleitsystem auf das andere entfallen.
Laut einer Studie der Unternehmensberatung PWC sind bisher aber nur 14 Prozent des Schienennetzes der EU mit ETCS ausgestattet. Nur wenn die Eisenbahnbetreiber mit dem Ausbau künftig zehnmal schneller vorankommen, seien 2030 wenigstens die europäischen Kernstrecken mit der Technik ausgerüstet, warnt das Europäische Parlament. In Deutschland sind es derzeit sogar nur gut vier Prozent.
Bislang fehlte für einen weiteren Ausbau das Geld. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat mit der Deutschen Bahn im Dezember 2022 einen Finanzierungsvertrag über 2,7 Milliarden Euro geschlossen. Sie sollen vor allem in die ETCS-Ausrüstung der Rhein-Schiene und des Knotens Stuttgart fließen. „Mit dieser Anschubfinanzierung kommt zwar Bewegung in den ETCS-Ausbau“, sagt Schleier. „Insgesamt muss aber mindestens das von der Bundesregierung genannte Finanzierungspaket von 43 Milliarden Euro für die Schiene zur Verfügung gestellt werden, um die Digitalisierung von Strecken, Zügen, Bahnhöfen und Stellwerken voranzutreiben.“
Finanziert werden muss auch der Aufbau des Kommunikationssystems FRMCS. ETCS funktioniert zwar teilweise mit GSM-R, das den Mobilfunkstandard 2G nutzt. „Aber erst mit FRMCS wäre die Bahn technisch wieder auf dem aktuellen Stand – denn damit können die Daten auf unterschiedlichsten Wegen übertragen werden: einerseits über einen reservierten Frequenzbereich bei 1,9 Gigahertz, aber auch über öffentliche 5G-Netze, WiFi, Satelliten- und Richtfunk“, erklärt Wendelin Zöpfl von Siemens Mobility. So lassen sich zum Beispiel die Übertragungskapazitäten deutlich erhöhen und die Latenzzeiten spürbar verringern.
Neben der Einführung von ETCS Level 3 ergeben sich daraus weitere Vorteile. FRMCS würde zum Beispiel die Automatic Train Operation (ATO) ermöglichen, bei der ein Assistenzsystem entweder den Lokführer unterstützt – etwa beim energiesparenden Fahren – oder gleich komplett die Steuerung übernimmt. Erste Tests der neuen Technik laufen bereits, zum Beispiel im „Digitalen Testfeld Bahn“ im Erzgebirge. Neben einer zehn Kilometer langen Teststrecke wurden Funkmasten installiert, um die Datenübertragung in der Praxis zu erproben.
Beim echten FRMCS-Ausbau könnte die Bahn zumindest teilweise auf eigene Funkmasten verzichten. „Denn dank der Nähe zu den 5G-Frequenzen bei der für FRMCS reservierten Frequenz von 1,9 Gigahertz wäre es prinzipiell möglich, zur Unterstützung auch vorhandene Netze der Mobilfunkbetreiber zu nutzen“, so Zöpfl. „Selbst Chips für 5G-Smartphones und -Basisstationen ließen sich möglicherweise verwenden.“ Aber ganz egal, wie die Daten zwischen Zug und Zentrale fließen – bis Bahnreisende von FRMCS profitieren, wird noch etwas Zeit vergehen: Die Deutsche Bahn will es voraussichtlich bis 2035 einführen.
Ein weiterer Schritt in Richtung smarte Schiene ist die Digitalisierung des Güterverkehrs – durch die Ausrüstung von Waggons und Lokomotiven mit der digitalen automatischen Kupplung (DAK). Mit ihr lassen sich die Strom-, Druckluft- und Datenleitungen von Güterwagen automatisiert kuppeln und lösen. Bislang ist dafür eine Rangierlok mit Fahrer und Kuppler nötig, der die Waggons manuell miteinander verbindet – was bei einem Güterzug bis zu vier Stunden dauern kann. Würden die täglich rund 400.000 Kupplungsvorgänge im europäischen Schienengüterverkehr künftig automatisiert ablaufen, stiege die Kapazität der vorhandenen Rangierbahnhöfe um bis zu 40 Prozent, erwartet die Logistiktochter der Bahn, DB Cargo.
„Durch die schnellere Zusammenstellung der Züge wird auch der gesamte Gütertransport auf der Schiene schneller“, erklärt Schleier. So lasse sich ein massiver Nachteil der Bahn gegenüber dem Lkw ausgleichen. Die Verkehrsleistung der Schiene im Gütertransport könnte dann um bis zu 70 Prozent steigen. Bei Kosten von 16.000 Euro pro Waggon schlägt die Umrüstung der 500.000 Güterwagen in Europa allerdings mit acht Milliarden Euro zu Buche – sinnvoll angelegtes Geld, wenn die Bahn eine zentrale Rolle bei der Verkehrswende spielen soll.
Leiter der Produktplattform Lokomotiven bei Alstom und Vorsitzender des ZVEI-Fachverbands Elektrobahnen und -fahrzeuge
Text Gerd Mischler | Illustratioen Deutsche Bahn/ Siemens Mobility/ DB Cargo Icons: ZVEI/Barbara Geising
Dieser Artikel erscheint in der Ausgabe 2.2023 am 2. Oktober 2023.
Markus Asch, CEO von Rittal, erwartet in den kommenden Jahren einen deutlichen Schub bei der Digitalisierung. Rittal setzt auf Digitale Zwillinge und maximale Datentransparenz.
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